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Vertrauen schaffen und transparent entscheiden

 

Broschüre Partizipation

1 Einleitung: Warum Beteiligungsprozesse?

Gisela Wachinger, Sarah-Kristina Wist, André Schaffrin

Planerische Entscheidungen auf kommunaler Ebene werden immer vielschichtiger, auch deshalb, weil das Regelwerk immer komplexer geworden ist: umfangreiche rechtliche Rahmenbedingungen des Landes-, Bundes und des EU-Rechts müssen berücksichtigt und eingehalten werden. Damit steigt nicht nur der Arbeitsaufwand von Planungsverfahren für die Verwaltung. Auch für die Bürger*innen sind die genauen Abläufe solcher Verfahren immer schwerer nachzuvollziehen. Sie bemängeln, dass die Prozesse nicht transparent sind und Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden. Auch deshalb werden die gefundenen Ergebnisse und auf deren Grundlage getroffene Entscheidungen immer öfter in Frage gestellt. Und obwohl die rechtlich vorgeschriebene Beteiligung der Bürger*innen in der Planung einen festen Platz hat, reicht sie oft nicht aus, um Entscheidungen transparent zu machen und Widerstände aufzulösen.

Wie kann es gelingen, auf der einen Seite die rechtlichen Vorgaben und Abläufe bei Genehmigungen und Planungen effizient einzuhalten und auf der anderen Seite dem Wunsch nach mehr Beteiligung seitens der Bürgerschaft zu entsprechen und ihre Anregungen für die Planung zu nutzen?

Auf diese Frage gibt die vorliegende Broschüre Antwort. Wir sind überzeugt, dass gute Beteiligungsprozesse sowohl Effizienz, als auch Transparenz gewährleisten und Planungs- und Genehmigungsverfahren bereichern kann. Planungen können abgesichert werden, die Bedenken der Bürgerschaft frühzeitig erkannt und ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden.

Was ist Bürgerbeteiligung?

Unter Bürgerbeteiligung werden kommunikative Prozesse verstanden, „in denen Personen, die qua Amt oder Mandat keinen Anspruch auf Mitwirkung an kollektiven Entscheidungen haben, die Möglichkeit erhalten, durch die Eingabe von Wissen, Präferenzen, Bewertungen und Empfehlungen auf die kollektiv wirksame Entscheidungsfindung direkten oder indirekten Einfluss zu nehmen“. 1

Für wen ist diese Broschüre?

Die Broschüre richtet sich an alle, die mit Planungs- und Genehmigungsverfahren beruflich oder privat zu tun haben, also an alle Akteure aus Politik und Verwaltung, an Planungsbüros und an die Zivilgesellschaft.

Wie kam es zu dieser Broschüre?

Die Herausgeber*innen sind in den letzten Jahren immer öfter von Verwaltungen, Bürgermeister*innen, und Landrät*innen gefragt worden, wie sie Planungs- und Genehmigungsverfahren so durchführen können, dass Bürgerinnen und Bürger an der Entscheidung mitwirken können und Projekte nicht erst in einem späten Planungsstadium blockiert werden. Unser Rat war einfach: Warum macht ihr die Bürgerbeteiligung, die ihr am Ende des Verfahrens machen müsst, nicht einfach freiwillig schon so früh, dass die Entscheidungen noch in alle Richtungen möglich sind und ihr etwas davon habt? „Etwas“ bedeutet im besten Falle eine Verbesserung der Planung und ein konstruktives Mitwirken an Stelle von Widerstand. Dass das erstens kein Automatismus ist, zweitens nicht ganz so einfach, wie es klingt und dass drittens auch diese frühen Beteiligungsverfahren sehr genau geplant sein müssen, haben die vielen Praxisbeispiele gezeigt, die wir in den letzten Jahren im Auftrag solcher innovativen Kommunen durchgeführt haben.

In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Vorhaben zur Umsetzung erneuerbarer Energie im Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz (kurz EnAHRgie) hatten die Herausgeber*innen Gelegenheit, die rechtlichen Abläufe und die optionalen Beteiligungsprozesse theoretisch zu erarbeiten. Dabei zeigte sich, dass diese Gegenüberstellung keineswegs zum Allgemeinwissen von Verwaltungen gehört, im Gegenteil: Wir bekamen ganz oft die Rückmeldung, wie hilfreich es wäre, dieses Wissen auch für andere Verwaltungen deutschlandweit zur Verfügung zu stellen. Daher machten wir uns auf die Suche nach Praxisbeispielen für Beteiligungsverfahren, die einen Einfluss auf die rechtlich vorgeschriebenen Planungs- und Genehmigungsverfahren hatten und haben. Diese wurden in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der jeweiligen Verwaltungen jeweils in einem Ablaufschemata dargestellt.

Sie zeigen sowohl die rechtlich vorgegebene Öffentlichkeitsbeteiligung auf als auch die darüber hinaus empfohlenen Beteiligungsformen. In einem abschließenden Praxisworkshop wurden dann alle Beispiele dieser Broschüre zusammen mit Experten aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft, sowie den Moderator*innen der Beteiligungsverfahren diskutiert und bearbeitet.

Was steht in dieser Broschüre?

Das zentrale Element dieser Broschüre sind die grafisch dargestellten Abläufe, die zeigen, wie Beteiligung in Planungsverfahren gelingen kann. Diese Abläufe werden verknüpft mit Praxishinweisen für eine erfolgreiche Durchführung.

Kap. 2 gibt Praxishinweise für eine gute Beteiligung in der Planung: zunächst werden die Erfolgsfaktoren von Beteiligungsprozessen dargestellt. Diese beruhen auf internationalen Studien und auf der Praxiserfahrung der Autor*innen und geben Antwort auf die Frage: Was muss beachtet werden, damit die Beteiligung ein Erfolg wird (2.1) ? Dann antworten wir auf die Frage: Wie macht man Beteiligung? Wir stellen Beteiligungsformate vor, die in den Beispielen genutzt wurden und geben Hinweise zu weiteren Formaten und Quellen. Kap. 3 kommt dann zum Kern: Wir stellen in einem allgemeinen Schema die Verzahnung der Abläufe dar und beschreiben sie, so dass jede/r darauf aufbauend ein Beteiligungsverfahren konzipieren kann. In Kap. 3 wird dieses Schema speziell für die Regionalplanung und die Bauleitplanung dargestellt. Die Broschüre schließt mit Anwendungen in Praxisbeispielen den in einem Workshop zusammengetragenen Praxisempfehlungen. Die Kapitel sind jeweils Gruppen von Autorinnen und Autoren verantwortlich, deren Namen am Anfang der Kapitel genannt werden.

2 Erfolgsfaktoren und Formate der Beteiligung

Gisela Wachinger, Sarah-Kristina Wist, André Schaffrin

2.1 Erfolgsfaktoren von Beteiligungsprozessen

Kriterien für eine „best practice“ Bürgerbeteiligung beruhen auf zehn Erfolgsfaktoren, die in internationalen Studien zu Partizipationsforschung herausgearbeitet wurden und die sich auch in der konkreten Umsetzung als unverzichtbar erwiesen haben (Studien des National Research Councils2 und der Europäischen Studie zu Partizipationsverfahren3). Sie sind auch Grundlage der vom VDI erarbeiteten ISO 7000 und 70014. Diese zehn Kriterien sollen im Folgenden beschrieben werden, sie stellen die Basis bei der Planung und Gestaltung von Beteiligungsprozessen dar.

2.1.1 Frühzeitige Beteiligung

Idealerweise beginnt die Beteiligung zu einem Zeitpunkt, an dem noch keinerlei Entscheidungen gefallen sind und das „Ob“ einer Planung, die Nullvariante, noch diskutiert werden kann.5 Je frühzeitiger eine Beteiligung stattfindet, desto eher können Verwaltungen die Belange der Bürgerschaft kennenlernen und verwerten und andererseits die Bürger*innen Einblicke in die Logik von Verwaltungshandeln bekommen.

So können das Verständnis über den gesamten Planungsprozess gestärkt und ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufgebaut werden.

Zur frühzeitigen Beteiligung siehe auch hier und hier.

2.1.2 Das Mandat

Da bei Beteiligungsprozessen die Entscheidung über den jeweiligen Gegenstand der Beteiligung in Form einer Beschlussfassung bei den repräsentativ gewählten Gremien liegt, ist es wichtig, dass diese ein klares Mandat für eine Beteiligung und das Erarbeiten von Empfehlungen aussprechen. Nur wenn deutlich ist, dass die Gremien (und ggf. der Vorhabenträger) sich mit den erarbeitenden Empfehlungen auseinandersetzen und diese bei der Beschlussfassung berücksichtigen, kann eine Beteiligung gelingen. Darum muss vor Beginn der Beteiligung eine grundsätzliche Beauftragung durch die repräsentativen Gremien stehen und die Zusage, wann und in welcher Form sich die Gremien mit den Ergebnissen der Beteiligung auseinandersetzen.

2.1.3 Entscheidungsspielraum

Sowohl beim „Ob“ als auch beim „Wie“ einer Planung muss der Entscheidungsspielraum zu Beginn eines Beteiligungsprozesses durch den Auftraggeber klar im Mandat definiert und allen Beteiligten kommuniziert werden, um Erwartungshaltungen nicht zu enttäuschen: Wozu sollen Empfehlungen erarbeitet werden? Was steht fest und kann nicht diskutiert werden? Wer entscheidet am Ende wann über das Ergebnis? Es empfiehlt sich, dies schon in der Einladung zu kommunizieren. Nur wenn alle Beteiligten wissen, wie der Entscheidungsspielraum aussieht und in welchem Rahmen diskutiert wird, werden Prozesse als „fair“ empfunden.

2.1.4 Umsetzbarkeit und Anschlussfähigkeit

Ziel einer Bürgerbeteiligung ist es, dass die Anregungen zur Planung, die die Bürger*innen eingebracht haben, geprüft und gegebenenfalls in die Planung einbezogen werden. Dazu ist eine kontinuierliche Interaktion mit der Verwaltung notwendig. Die Ablehnung einer Anregung muss jeweils begründet werden. Die letzte Entscheidung darüber haben in der Planung die repräsentativ gewählten Gremien. Daher müssen, wie im Idealfall im Mandat festgeschrieben, die Empfehlungen der Bürgerschaft auch den Gremien zur Entscheidung vorgelegt werden und diese müssen darüber entscheiden.

2.1.5 Nachhaltigkeit

Eine nachhaltige Beteiligung bedeutet, dass diese nicht nur möglichst frühzeitig einsetzt, sondern über den gesamten Planungs- oder Genehmigungsverlauf (punktuell oder begleitend) stattfindet. So können die Motivation und Unterstützung der Teilnehmenden sichergestellt werden. Alle Beteiligten müssen darüber hinaus auch nach Abschluss von durchgeführten Beteiligungsveranstaltungen bis zur Umsetzung laufend von den Ergebnissen der Prüfung durch die Behörden und die Gremien informiert werden. Ggf. können sie auch noch die Möglichkeit haben, ihre Ansichten im Rahmen der Leitplanken zu äußern und an den Ergebnissen mitzuarbeiten.

2.1.6 Angepasste Verfahren

Die Güte eines Beteiligungsprozesses wird von der passgenauen Konzeption des Verfahrens maßgeblich beeinflusst. Einige Formate können sowohl für Beratungs- als auch Beteiligungsverfahren angewendet werden (bspw. Runde Tische). Andere wiederum eignen sich entweder für das eine oder das andere. Es bedarf der genauen Prüfung der Ziele und des Zwecks des Beteiligungsprozesses. Soll informiert, beraten oder beteiligt werden? Die Kunst liegt darin, die Formate passgenau zu wählen und ggf. Miteinander zur verknüpfen. Einige Formate finden sich beispielhaft in Kap. 2.2.

2.1.7 Transparenz

Nur wenn die Bürgerschaft zu Beginn eines Prozesses alle Informationen in verständlicher, barrierefreier Darstellung zur Verfügung gestellt bekommt, kann eine Diskussion auf Augenhöhe (mit Experten und Fachleuten) gewährleistet werden. Doch nicht nur innerhalb des Beteiligungsprozesses ist eine transparente und verständliche Darstellung wichtig. Auch Akteure, die nicht an dem Prozess teilnehmen können, müssen zumindest die Chance haben, sich über die Ergebnisse zu informieren.

2.1.8 Fairness

Dieser Erfolgsfaktor besagt, dass alle Teilnehmenden im Prozess, unabhängig von Status oder Rang die Möglichkeit bekommen müssen sich mit ihren Argumenten einzubringen. Ein Beteiligungsprozess sollte also so aufgesetzt werden, dass alle Teilnehmenden sich umfassend äußern können. Bei den Veranstaltungen selbst bedarf es einer kompetenten Moderation zur Einhaltung der Fairness-Regeln.

2.1.9 Ernsthaftigkeit

Auch wenn es dem ersten Anschein nach banal klingt, ist dies einer der wichtigsten und meist nicht beachteten Erfolgsfaktoren: Alle Beteiligten müssen den Prozess ernst nehmen. Hierzu gehört, dass die Verwaltungen, Behörden und Gremien die Ergebnisse der Beteiligung im Rahmen der Mandatsformulierung und des an die Teilnehmenden kommunizierten Entscheidungsspielraums gewissenhaft bearbeiten und prüfen: Wie wird mit den Ergebnissen umgegangen? Sind Gremien beteiligt oder lediglich die Verwaltung? In welchen Gremien werden die Ergebnisse diskutiert? Wann und wie erfolgt eine Rückmeldung an die Bürgerschaft? Diese Ernsthaftigkeit muss auch von der Moderation vermittelt werden.

2.1.10 Haltung der Akteure

Hierbei handelt es sich um den wichtigsten Erfolgsfaktor. Gemeint ist die Haltung aller am Prozess Beteiligten. Nur wenn die politischen Vertreter*innen, die kommunalen Gremien, die Beschäftigten der Verwaltung, die Expert*innen und auch die Bürgerschaft mit einer konstruktiven und ehrlichen Haltung sich an den Prozessen beteiligen und miteinander ins Gespräch kommen, kann es gelingen eine für alle tragfähige Lösung gemeinsam zu gestalten.

2.2 Formate der Beteiligung

Es findet sich eine Vielzahl von Veranstaltungsformaten, die für bestimmte Ziele und Zwecke in der Beteiligung empfohlen werden. Hier soll aber eher eine Vorgehensweise beschrieben werden, die nicht ein fertiges Format aus dem Werkzeugkasten holt, sondern vielmehr für jede Fragestellung und Besonderheit der jeweiligen Planung die nützlichen Bausteine zusammenstellt. Ein sehr umfassender und wissenschaftlich fundierter Überblick über international genutzte Formate ist auf einer interaktiven Webseite zu finden. Im Folgenden werden sieben Formate beschrieben, die in den Praxisbeispielen in Kap. 5 zur Ausgestaltung von Beteiligungsprozessen genutzt wurden: Für die Beratungsprozesse etwa Fokusgruppen und Runde Tische, für die verfahrensvorbereitende und die verfahrensbegleitende Beteiligung Projektgruppen, Bürgerinformation, Planungswerkstätten (Bürgerforen) und World Café.

Siehe auch hier.

2.2.1 Fokusgruppe (8-12 Personen)

Ziele der Diskussion in der Fokusgruppe6 sind „Erkenntnisse über das Spektrum subjektiver Ansichten und individueller Erwartungen in einem Entscheidungsprozess“. Es geht also um „Beratung“, nicht um „Beteiligung“.

Eingeladen wird je nach Erkenntnisinteresse eine Gruppe nach bestimmten sozio- demografischen Merkmalen: Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Beruf, Wohnort, etc. Die Gruppe von 6 bis 12 Personen führt im Zeitrahmen eines halben Tages oder eines Abends einen moderierten Diskurs. Dieser wird durch einen thematischen Stimulus wie z.B. durch ein Bild, einen kurzen Vortrag oder einen Film, in Gang gesetzt. Die Moderation strukturiert die Diskussion mithilfe eines Leitfadens, anhand dessen alle wesentlichen Aspekte zum fokussierten Thema besprochen werden. Wenn möglich werden zu einer Fragestellung mehrere Fokusgruppen mit unterschiedlichen Teilnehmenden durchgeführt und die Ergebnisse im Vergleich ausgewertet. Die Diskussion wird als Audiodatei mitgeschnitten und protokolliert, um die einzelnen Aussagen präzise zu erfassen. Verschiedene qualitative und halbquantitative Auswerteverfahren können angeschlossen werden.

2.2.2 Runder Tisch (8 bis 25 Personen)

Ein Runder Tisch7 ist die Organisationsform einer Gruppendiskussion. Die Bezeichnung „Runder Tisch“ beschreibt eine praktische Arbeitsweise in einer gleichberechtigten Gesprächsrunde, die den Regeln des demokratischen Diskurses verpflichtet ist. Im Einzelnen können die Methoden des gemeinsamen Arbeitens entsprechend den zu behandelnden Themen und dem Ziel variieren, je nachdem, ob es um einen Austausch an Informationen zum aktuellen Projektstand, die gemeinsame Bearbeitung eines Themas oder die Erarbeitung von Empfehlungen geht. Dabei stehen gelegentlich eher Methoden der Ideenfindung im Vordergrund, gelegentlich mehr die argumentative Auseinandersetzung um unterschiedliche Bewertungen. Kommt es am Runden Tisch zu konfliktären Auseinandersetzungen, können konfliktlösende Methoden, wie die der Mediation 8 eingesetzt werden.

Die Teilnehmenden des Runden Tisches werden so ausgewählt, dass alle Interessen zum jeweiligen Thema vertreten sind und damit relevante Aussagen zu einer Fragestellung zu erwarten sind. . Die Fachkompetenz möglichst aller für ein Thema relevanten Akteure soll in einem produktiven, ergebnisorientierten Gespräch zusammengeführt und Standpunkte integriert werden. Dabei wird das Potenzial der Vielfalt der Kompetenzen und Interessen genutzt. Ziel der Diskussion ist eine gemeinsame Entscheidung. Diese kann in einer gemeinsam getragenen Idee, einer Konzeption oder in einem gemeinsamen Lösungsvorschlag bestehen.

Es wird empfohlen, den Runden Tisch neutral extern moderieren zu lassen, um eine Trennung zwischen der Fachrolle und der Moderationsrolle sicherzustellen.

2.2.3 Projektgruppe/Lenkungskreis (ca. 8-15 Personen)

Die Aufgabe eines projektbegleitenden Lenkungskreises/ einer Projektgruppe ist es, die Partizipationsprozesse im zeitlichen Ablauf und auch inhaltlich nach den rechtlichen Verfahren auszurichten und so die Anschlussfähigkeit der Partizipationsergebnisse frühzeitig, kontinuierlich und nachhaltig sicherzustellen. In einer solchen Projektgruppe sollten folgende Akteure vertreten sein:

  • Die politische Spitze (je nach Planungsebene beispielsweise, LandrätIn, BürgermeisterIn usw.)

  • Vertreter*innen jeder Fraktion der Gremien (z. B. Stadtrat, Gemeinderat oder Kreistag), die später entscheiden

  • Vertreter*innen der Verwaltung, die mit der Planung beauftragt sind

  • Vertreter*innen wichtiger gesellschaftlicher Gruppen und Initiativen (betroffene Verbände und Vereine, Bürgerinitiativen, Seniorenbeirat)

  • Eventuell Vorhabenträger/Investoren

  • JugendVertreter*innen, je nach Thematik eventuell auch Kirchen, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Sozialstationen

  • Eventuell beauftragte externe Planer oder Gutachter

Eine Projektgruppe bereitet die Partizipationsprozesse inhaltlich und organisatorisch vor. Sie tagt regelmäßig, bei Schwierigkeiten in den Abläufen auch außerplanmäßig, um sich immer wieder neu auf die Vorgehensweise verständigen zu können. Es wird empfohlen, diese Projektgruppe neutral extern zu moderieren, um eine Trennung zwischen der Fachrolle und der Moderationsrolle sicherzustellen. Folgende Kriterien sollten bei Sitzungen einer Projektgruppe beachtet werden:

  • Diese Projektgruppe ist NICHT repräsentativ zu besetzen. Es geht nicht darum, ein repräsentatives Abbild zu schaffen, vielmehr soll jedes Interesse und jedes Argument in der Gruppe vertreten sein.

  • Das Ziel der Projektgruppe ist es nicht Entscheidungen zu fällen die Teilnehmenden sollen konsensuale Empfehlungen für den Ablauf der Beteiligung erarbeiten. Die Entscheidungen fällen die zuständigen Gremien.

  • Alle Mitglieder der Projektgruppe müssen über die jeweiligen Abläufe und Planungen transparent informiert werden und immer auf dem Laufenden sein.

  • Die Sitzungen bereiten die Beteiligungsverfahren für die Bürgerschaft vor. Sie nehmen keine Inhalte vorweg und verabschieden auch nicht Empfehlungen, ohne die betroffene Öffentlichkeit befragt zu haben.

  • Die Projektgruppe kann Vorschläge zur Beauftragung von Moderator*innen, Gutachter*innen oder Experten*innen zu speziellen Fragestellungen machen. Die Kosten sollten im Rahmen des Beschlusses zur Mandatierung von den zuständigen Gremien bereitgestellt werden.

Es wird empfohlen eine solche Projektgruppe dann einzurichten, wenn die ersten Ideen für eine informelle oder formelle Planung diskutiert werden. Diese Projektgruppe bereitet dann die Beschlussvorlage für die Gremien vor, in der die Mandatierung für einen Beteiligungsprozess beschlossen werden kann.

2.2.4 Informationsveranstaltung (20-500 Personen)

In Bürger*innen-Informations-Veranstaltungen sind Vortragsblöcke und anschließende Fragen- oder Diskussionen zum vorangegangenen Informationsteil vorgesehen. Die Darstellung der bereits vorhandenen Planungen kann innerhalb der Informationsveranstaltung in Form eines Open Space Verfahrens oder einer Ausstellung geschehen. Dabei können von neutralen Moderatoren bereits Ideen aus dem Publikum aufgenommen werden, die in das weitere Verfahren einfließen.

Eine Bürger*innen-Informations-Veranstaltung kann dazu genutzt werden, ein erstes Konzept zur ergebnisoffenen Bürgerbeteiligung vorzustellen und Bürger*innen zur Mitwirkung im weiteren Prozess zu gewinnen.

2.2.5 Planungswerkstatt/Bürger*innenforum (20-200 Personen)

Das Bürger*innenforum oder die Planungswerkstatt sind Formate, um konkrete Empfehlungen zu komplexen Fragestellungen zu erarbeiten. Hierbei bringen Fachexperten die notwendigen Informationen mit ein, etwa in der Form von Landkarten oder Modellen. Ein Team von Moderator*innen leitet die Gruppen, die sich zu unterschiedlichen Themen beraten und dokumentiert die gemeinsam formulierten Empfehlungen. Dabei werden Mediationstechniken angewendet, um mit den Teilnehmenden Problemlösungen zu erarbeiten. Diese Lösungen werden als Empfehlungen formuliert und als Beschlussvorlage dem Gemeinderat vorgelegt.

2.2.6 Bürger*innensprechstunde (1-5 Personen)

Da zum Zeitpunkt einer Veranstaltung erfahrungsgemäß nicht alle betroffenen oder interessierten Bürger*innen Zeit haben, können in Ergänzung zu größeren Veranstaltungen Bürger*innensprechstunden angeboten werden. Damit kann sichergestellt werden, dass jede Person die Möglichkeit hat, ihr Anliegen zum Thema einzubringen. Bürger*innensprechstunden werden möglichst durch einen Vertreter der Verwaltung und ein Mediationsteams durchgeführt. Inhaltliche Fragen werden von Seiten der Verwaltung beantwortet, während für Anliegen zum Beteiligungsverfahren sowie für die Dokumentation der Gesprächsinhalte das Mediator*innenteam zuständig ist. Die dokumentierten Inhalte der Bürger*innensprechstunden können in die Verfahrensschritte einfließen.

2.2.7 World Café (20-200 Personen)

Diese Methode kann angewendet werden, um effizient Informationen auszutauschen und Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Intensive Diskurse in kleineren Gruppen an Tischen sollen so ermöglicht werden. Damit sich an einer solchen Veranstaltung Teilnehmende über verschiedene Themen informieren und zu unterschiedlichen Fragestellungen äußern können, wird in zwei bis drei Runden gearbeitet: die Teilnehmenden werden zum Wechseln der Tische aufgefordert werden und haben so die Möglichkeit, sich an mehreren Themen zu beteiligen. Diese Thementische sind jeweils mit einer/m Expertin/en besetzt und einer/einem Moderator/in. Nach den Kriterien der Mediation ist es hilfreich, bei diesen Gruppendiskussionen die Fachrolle von der Prozessbegleiter-Rolle zu trennen. Die Themen der Tische und die Besetzung durch Expert*innen werden mit dem Auftraggeber gemeinsam festgelegt. Jede Themenecke ist mit einer freien Pinwand für weitere Anregungen ausgestattet, die von der Moderation aufgenommen werden. Fragen können an den Tafeln direkt durch die Expert*innen beantwortet werden. Die Anzahl der Gruppen wird einerseits durch die Themen definiert, andererseits auch durch die Zahl der Anmeldungen. Pro 10-20 Teilnehmende sollte es eine Gruppe geben.

3 Beteiligungsabläufe in der Planung

Gisela Wachinger, André Schaffrin

Im Folgenden wird beschrieben, wie sich Beteiligungsmöglichkeiten mit rechtlichen Erfordernissen der Öffentlichkeitsbeteiligung verknüpfen lassen. Wir stellen zuerst dazu die Verzahnung der rechtlichen Verfahren und der Beteiligungsprozesse abstrakt dar (s. Abb. 1) 9. Alle Beteiligungsschritte gliedern sich in die rechtlich vorgegebenen Verfahrensschritte. Sie werden im folgenden Kapitel von oben nach unten beschrieben.

3.1 Zivilgesellschaftliche Beratungs- und Beteiligungsprozesse zu einer gesellschaftlichen Fragestellung

Der Beteiligungsablauf startet im Zeitverlauf mit den zivilgesellschaftlichen Beratungs- und Beteiligungsprozessen als Option (s. Abb. 1). Sie sind gesetzlich nicht vorgeschrieben. Beratung und Beteiligung zu diesem Zeitpunkt diskutiert vordergründig gesellschaftsrelevante Fragestellungen und weniger zu konkreten Projekten. Sie können konkreten Planungsideen vorgelagert sein, können davon aber auch unabhängig durchgeführt werden. Im Idealfall zeigen zivilgesellschaftliche Beratungs- und Beteiligungsprozesse ohne Verfahrensbezug den Akteuren vor Ort Möglichkeiten der Durchführung von Beteiligungsprozessen auf.

Die Initiatoren eines Projektes (z.B. Kommunen, Vorhabenträger, Investoren) haben ein Interesse, dass die Umsetzung ihres Projektes gelingt. Nach den oben aufgeführten Erfolgsfaktoren ist dies am ehesten gegeben, wenn die Betroffenen frühzeitig, am besten schon vor dem rechtlich vorgeschriebenen Verfahren mit in die Planung einbezogen sind.

Aufgrund der frühzeitigen Beteiligung ist es an dieser Stelle wichtig, den tatsächlichen Entscheidungsspielraum klar gegenüber den Teilnehmenden zu kommunizieren. Handelt es sich also um eine Beratung oder um eine tatsächliche Beteiligung? Umgangssprachlich werden oft alle Veranstaltungen mit Bürger*innen „Beteiligung“ genannt. Dies ist eine Ursache für den Frust über mangelnde Transparenz und die Enttäuschung der Bürger*innen „Nicht Mit-Entscheiden zu dürfen“. Beratung holt die Meinungen, Ideen und das Fachwissen der Bürger*innen ein. Echte Beteiligung geht darüber hinaus und beginnt erst dann, wenn eine Einflussmöglichkeit auf die Entscheidung besteht. Daher ist für einen zivilgesellschaftlichen Beteiligungsprozess auch ohne Verfahrensbezug ein Mandat dringend zu empfehlen. Eine Beratung benötigt dagegen keinen politischen Beschluss durch die zuständigen Gremien. Es sollte also immer klar benannt werden, ob es bei Veranstaltungen ohne Verfahrensbezug um reine Information, um Beratung oder um Beteiligung geht (s. Box 1 und Box 2).

Als mögliche Formate sind für die Beratungs- und Beteiligungsprozesse ohne Verfahrensbezug Informationsveranstaltungen, Fokusgruppen und Runde Tische zu nennen (s. Kap. 2). Diese Formate können der unmittelbaren Vorbereitung weiterer Veranstaltungen wie Bürgerforen oder World-Cafés in den weiteren Beteiligungsschritten dienen.

Box 1: Was sind Beratungsprozesse? Box 2: Was sind Beteiligungsprozesse?
Beratungsprozesse sind durch die Richtung der Kommunikation der Ergebnisse gekennzeichnet: Die „Beratung“ erfolgt durch die Zivilgesellschaft und richtet sich an Vorhabenträger, an Politik und Verwaltung. Diese können die „Ratschläge“ weiter bearbeiten, es muss aber keine Rückmeldung an die Bürger*innen geben, ob sie aufgenommen wurden. Fragen der Bürger*innen können aufgenommen und nach Möglichkeit sofort beantwortet werden, oder auch an Experten weitergegeben werden. Anregungen und Bedenken der Bürger*innen können gesammelt werden, um ein Stimmungsbild zu bekommen. Die Beratungsprozesse verfügen zwar nicht über das Mandat, verbindliche Einigung über Detailfragen herbeizuführen. Ihre Stärke liegt aber darin, dass sie jederzeit ergänzend angesetzt werden können und im Vergleich zur ritualisierten Kommunikation, etwa des Erörterungstermins, die Gelegenheit zum offenen Diskurs bietet. Beteiligungsprozesse im eigentlichen Sinn sind durch den Dialog gekennzeichnet: Die Kommunikation erfolgt in beiden Richtungen. Als zugehörige Formate sind unter vielen anderen Planungsworkshops, Runde Tische oder Bürgerforen zu nennen. Die Ebene der partnerschaftlichen Einigung kann außergerichtlich z. B. durch Mediation erreicht werden.10 Selbst wenn im Rahmen der informellen Mediation eine Einigung zwischen Konfliktparteien erzielt wird, ist die planende Behörde allerdings nicht an diesen Konsens gebunden. Die planerische Abwägung verbleibt bei ihr und wird ihr unter keinen Umständen erspart.11 Erheblichen Einfluss kann allerdings die Kraft des Faktischen ausüben, die von derartigen Vereinbarungen ausgeht.12 Oft wird von der Behörde erwartet, dass sie das Ergebnis des Beteiligungsverfahrens in ihre Entscheidung übernimmt. Es muss deutlich kommuniziert werden, dass dies zwar möglich ist, aber die Bürger*innen nicht selbst entscheiden, sondern lediglich an der Entscheidungsfindung (wie Abwägung, Ermessensentscheidung) beteiligt werden. Liegt eine gebundene Entscheidung der Behörde vor, also eine solche, bei der der Behörde kein Spielraum gegeben ist, ist die Einbeziehung des Beteiligungsergebnisses von der Freiwilligkeit des Vorhabenträgers abhängig.

3.2 Zivilgesellschaftliche Beteiligungsprozesse in Vorbereitung rechtlicher Verfahren (Vorgezogene Beteiligung)

Anknüpfend an die Ergebnisse eines möglichen Beratungs- und Beteiligungsprozesses ohne Verfahrensbezug oder unabhängig davon können verfahrensvorbereitende Prozesse im Rahmen einer vorgezogenen Beteiligung durchgeführt werden. Je frühzeitiger eine Beteiligung stattfindet, desto eher können Verwaltungen die Belange der Bürgerschaft kennenlernen und verwerten und andererseits die Bürger*innen Einblicke in die Logik von Verwaltungshandeln bekommen. Diese Beteiligung findet bereits vor der Durchführung der gesetzlich vorgesehenen Verfahrensschritte statt.

Die Beteiligung mit Verfahrensbezug dient zwei Zielen:

  1. Die Planung abzusichern („besser“ zu machen in dem Sinne, dass Mängel früh erkannt werden und die Qualität der Planung erhöht wird).

  2. Einwände der Betroffenen bereits früh zu erkennen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, durch das diese Einwände sachlich diskutiert und ggf. berücksichtigt werden können. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass dadurch Klagen im letzten Stadium der Planung, der Genehmigung oder nach deren Abschluss abgewendet werden können.

Der Kostenaufwand solcher Beteiligungsprozesse erscheint durch die Hoffnung gerechtfertigt, damit teure Umplanungskosten zu vermeiden (siehe auch VDI-Richtlinien 7000 und 7001)13.

Ein vorgezogener Beteiligungsprozess kann die Transparenz zu den geplanten Projekten stark erhöhen. Im Rahmen von Bürgerinformationsveranstaltungen können Beteiligte umfassend zum Verfahrensgegenstand und den jeweiligen kommenden Verfahrensschritten durch Expert*innen informiert werden. Es besteht darüber hinaus die Möglichkeit, ergebnisoffen Ziele der Planung zu diskutieren und mögliche Kriterien für wichtige Auswahlprozesse gemeinschaftlich festzulegen.

Die Ergebnisse dieser Prozesse haben dann Gewicht, wenn das verantwortliche Gremium (Gemeinderat, Kreistag, usw.) oder der verantwortliche Vorhabenträger den Bürger*innen ein Mandat für die Erarbeitung einer Empfehlung erteilt. Im weiteren Verlauf sollte das Gremium bzw. der Vorhabenträger über die wesentlichen Zwischenschritte und die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses informiert werden. Das Gremium entscheidet auch über die anfallenden Kosten des Beteiligungsprozesses und nimmt diese in sein Mandat auf.

Damit werden die wichtigen Leitplanken für den Entscheidungsspielraum gesetzt und die wesentlichen Schritte zur Gewährleistung der Anschlussfähigkeit festgelegt. Im Idealfall etabliert das Gremium eine Projektgruppe (auch Lenkungskreis oder Steuerungsgruppe genannt). Diese richtet die weiteren Beteiligungsprozesse im zeitlichen Ablauf und auch inhaltlich nach den rechtlichen Verfahren aus. Sie stellt so die Anschlussfähigkeit der Partizipationsergebnisse frühzeitig, kontinuierlich und nachhaltig sicher.

Legende zu den Abbildungen 1 bis 3 sowie 4a, 5a, 6a (Lena Strothe, Gisela Wachinger)

Legende: Legende zu den Abbildungen 1 bis 3 sowie 4a, 5a, 6a (Lena Strothe, Gisela Wachinger)

 

Synthese der zivilgesellschaftlichen Beteiligungsprozesse mit den rechtlich vorgesehenen Beteiligungsverfahren in verallgemeinerter Form (Lena Strothe, Gisela Wachinger)

Abbildung 1: Synthese der zivilgesellschaftlichen Beteiligungsprozesse mit den rechtlich vorgesehenen Beteiligungsverfahren in verallgemeinerter Form (Lena Strothe, Gisela Wachinger); Link zur Legende

Anmerkungen zu Abbildung 1 (Stand September 2018)

  • Anmerkung 1: Gilt nur für Planungsverfahren der entsprechenden Kommune, nicht für Genehmigungsverfahren

  • Anmerkung 2: Gilt i.d.R. für Planungsverfahren der entsprechenden Kommune. Zwischenstände können in Absprache mit dem Vorhabenträger auch bei Genehmigungsver-fahren kommuniziert werden

3.3 Die verfahrensbegleitende Beteiligung

Durch verfahrensbegleitende Beteiligungsprozesse bietet sich die Möglichkeit die frühzeitige Beteiligung im Rahmen von rechtlich vorgeschriebener teilformalisierter und formalisierter Öffentlichkeitsbeteiligung zu erweitern. Beteiligung kann dann gelingen, wenn die rechtlichen Anforderungen mit den Erfolgsfaktoren gelebter Beteiligungspraxis verknüpft werden.

Die Beteiligung sollte sich daher nicht nur auf die rechtlich zwingend zu beteiligenden „Betroffene“ beschränken, um den fairen Zugang zum Verfahren für alle Betroffenen zu gewährleisten (s. Box 3).

Im Planungsverlauf (§ 3 Abs. 1 BauGB, § 25 Abs. 3 VwVfG) ist die Durchführung einer teilformalisierten Öffentlichkeitsbeteiligung, die sog. frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung, rechtlich vorgesehen.

Dieses Verfahren besteht aus der Unterrichtung der Öffentlichkeit, der Anhörung der Öffentlichkeit und der anschließenden Gelegenheit zur Stellungnahme. Verfahrensbegleitende Beteiligung muss diese drei Anforderungen zwingend erfüllen, kann aber auch darüber hinausgehen.

Die verfahrensbegleitende Beteiligung nimmt die jeweiligen Planungsschritte auf, informiert im Rahmen von beispielsweise World Cafés, Planungswerkstätten oder Bürgersprechstunden transparent darüber und diskutiert mit den Bürger*innen die nächsten Schritte. Ausgehend von der umfassenden systematisierenden Information kann die Bürgerschaft die Behörde oder den Vorhabenträger bei der weiteren Ausgestaltung beraten und eine Empfehlung erarbeiten. Die Ergebnisse der jeweiligen Beteiligungsschritte werden als Empfehlung der Bürgerschaft in die Gremien eingebracht. Diese diskutieren möglichst ernsthaft und detailliert die einzelnen Vorschläge und treffen eine (Abwägungs-) Entscheidung bzw. beschließen die weitere Vorgehensweise.

Auf der Grundlage der überarbeiteten Unterlagen findet in den rechtlich vorgeschriebenen Fällen dann die formalisierte Öffentlichkeitsbeteiligung bestehend aus der öffentlichen Bekanntmachung statt.

Diese besteht aus der öffentlichen Auslegung und der Gelegenheit zur schriftlichen Äußerung. In einigen Fällen ist zudem ein Erörterungstermin zwingend vorgeschrieben.

Um die formalisierte Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgreich ausgestalten zu können, kann wiederum eine** verfahrensbegleitende Bürgerbeteiligung** durchgeführt werden. Diese kann eine detaillierte Information der interessierten Bürgerschaft, eine Ausstellung und Diskussion und die Vorbereitung der schriftlichen Stellungnahmen beinhalten. Die Aufstellung eines Plans obliegt der zuständigen Behörde bzw. dem zuständigen Gremium. Wie schon bei dem ersten Beteiligungsschritt ist es eine Voraussetzung für den Erfolg, dass sich die Gremien bzw. die Behörden dann auch ernsthaft mit den Ergebnissen der verfahrensbegleitenden Beteiligung auseinandersetzen. Sie sind rechtlich dazu verpflichtet, alle Erkenntnisse in ihre Entscheidung einzubeziehen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen heißt, dass die Behörde oder das Gremium zu den Ergebnissen der Beteiligungsprozesse eine Stellungnahme abgibt, die nachvollziehbar erläutert, ob, und wenn ja, inwieweit den Vorschlägen der Bürgerschaft Folge geleistet werden kann (und wenn nicht, weshalb nicht). Über das Ergebnis der Entscheidung werden alle bisher Beteiligten und auch die allgemeine Öffentlichkeit möglichst zeitnah informiert.

3.4 Nachgelagerte informelle Öffentlichkeitsbeteiligung

Um Beteiligungsprozesse nachhaltig durchzuführen sollten alle Betroffenen über den gesamten Planungsprozesshinweg beteiligt sein. Die Beteiligung der Öffentlichkeit kann deshalb auch dann erfolgen, wenn ein Vorhaben bereits beschlossen ist, es aber noch Spielräume zur genaueren Ausgestaltung gibt.

Um die Ergebnisse der Planungsverfahren konkret und nachhaltig umsetzen zu können (etwa durch Investoren bei Entscheidungen zu kommunalen Flächen für Windkraftanlagen), empfiehlt es sich, die Beteiligung auch nachgelagert zumindest als Informationsveranstaltungen oder im Rahmen von Bürgersprechstunden fortzusetzen, auch nachdem die Entscheidung im Gemeinderat bereits gefallen ist. Auch in der Umsetzung von Projekten liegen oft noch Hürden. Um größtmögliche Fairness über den gesamten Beteiligungsprozess zu gewährleisten können zu diesem Zeitpunkt auch Betroffene beteiligt werden, welche erst jetzt ihre Betroffenheit von den Entscheidungen erkannt haben und sich beteiligen, sobald die Motivation groß genug ist, weil „die Bagger anrollen“. Auch eine solche nachgelagerte Beteiligung zur Vertretung eigener Interessen sollte als „legitimes“ politisches Engagement angesehen werden. Wichtig ist es aber besonders zu diesem Zeitpunkt, den Entscheidungsspielraum der Beteiligung klar gegenüber den Beteiligten zu kommunizieren: Dass beispielsweise über das „Ob“ einer Planung aufgrund der bestehenden Gremienbeschlüsse nicht mehr entschieden werden kann und wo die Spielräume im „Wie“ der Planung liegen.

Box 3: Was ist „Öffentlichkeit“
Die Begriffe der „Öffentlichkeit“ und der „betroffenen Öffentlichkeit“ sind nicht einfach zu fassen. Wer ist also zu beteiligen? Bestimmte rechtlich vorgesehene Beteiligungsschritte werden der allgemeinen Öffentlichkeit geöffnet (bspw. im Rahmen der Beteiligung nach § 3 BauGB), während der Adressatenkreis bei anderen Beteiligungsverfahren in unterschiedlicher Weise eingeschränkt wird (bspw. § 73 Abs. 6 VwVfG „Betroffene“). Die europäischen und europarechtlichen Einflüsse insbesondere im Umweltrecht haben aber für eine Ausweitung von Beteiligungsprozessen und Adressatenkreisen gesorgt. Ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich, werden die Unterlagen der UVP i.d.R. gemeinsam mit allen weiteren Unterlagen ausgelegt. Auch diese werden dann, wie in § 19 Abs. 4 UVPG vorgesehen, der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Nach der Sichtweise der Beteiligungspraxis ist „betroffen“ jeder, der sich gedanklich damit beschäftigt und sich folglich als „betroffen“ wahrnimmt. Alle von Entscheidungen in diesem Sinne Betroffene sollen die Möglichkeit haben, ihr lokales Wissen als Empfehlungen in die Entscheidung mit einfließen zu lassen. Bei der Durchführung von Beteiligungsveranstaltungen muss daher genau überlegt werden, wer im Einzelfall beteiligt werden sollte und wer zwingend zu beteiligen ist.14

4 Anwendung von Beteiligung im kommunalen Planungsablauf

Gisela Wachinger, Sarah-Kristina Wist, André Schaffrin

4.1 Zivilgesellschaftliche Beratungs- und Beteiligungsprozesse vor der Planung

Viele politische Entscheidungen sind sehr komplex: Sie beruhen auf Zusammenhängen, die auf der einen Seite wissenschaftlich zwar gut beschreibbar, aber sehr schwer prognostizierbar sind. Auf der anderen Seite brauchen sie häufig eine Bewertung der Zivilgesellschaft als Grundlage für die zukünftige Planung. Hierbei können Prozesse der zivilgesellschaftlichen Beratung und Beteiligung auch ohne Verfahrensbezug sinnvoll eingesetzt werden.

Solche Beratungs- und Beteiligungsprozesse können beispielsweise zur Erstellung von Energiekonzepten zielführend sein und auf diesem Weg Einfluss nehmen auf die Bauleitplanung und die Regionalplanung. In der Bauleitplanung fließen Energiekonzepte als informelle städtebauliche Planungen i.S.d. § 1 Abs.6 Nr. 11 BauGB als Abwägungsbelang in die Erstellung eines Bauleitplans ein. Der herausragenden Bedeutung der Konzepte für die Energiewende vor Ort wird dadurch Rechnung getragen. Will die Gemeinde von einem solchen Energiekonzept abweichen, etwa, weil es seit Erstellung andere als die vorhergesehenen Entwicklungen gegeben hat, ist dies in der Bauleitplanung begründungsbedürftig.15 Auch in der Regionalplanung, als Teil der auf Kooperation angelegten Planung, fließen Energiekonzepte der Gemeinden in die Abwägung zur Erstellung des Regionalplans ein. Die Gemeinde kann zudem in ihrer Stellungnahme zum Regionalplan (s.u. 4.2 Beteiligung in der Regionalplanung) auf bestehende informelle Konzepte verweisen.

4.2 Beteiligung zur Aufstellung eines regionalen Raumordnungsplans

Die Regionalplanung ist keine kommunale Aufgabe, sondern obliegt je nach Bundesland einer unterschiedlich geregelten Zuständigkeit. Kommunen haben aber eine Reihe von gesetzlich geregelten Beteiligungsrechten. Stellvertretend für diese Beteiligungsrechte sollen hier Möglichkeiten der Einbeziehung von Beteiligungsverfahren in die kommunalen Stellungnahmen zum Regionalplan im Praxisbeispiel Rheinland-Pfalz aufgezeigt werden.

Der Ablauf ist am Beispiel der Regelungen in Rheinland-Pfalz dargestellt und für alle Bundesländer kommentiert.

Die Regionalplanung hat die Aufgabe durch Raumordnung den Raum nachhaltig zu entwickeln. Dabei sind die natürlichen Gegebenheiten, die Bevölkerungsentwicklung, die wirtschaftlichen, infrastrukturellen, sozialen und kulturellen Belange und Erfordernisse zu beachten (vgl. § 1 Abs. 2 S. 2. RhPfLPlG).16 Die Regionalplanung kann auch Entwicklungskonzepte erarbeiten, durch die raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen vorgeschlagen und aufeinander abgestimmt werden (vgl. § 2 Abs. 2 RhPfLPlG). In den Regionalen Raumordnungsplänen werden zur Erreichung der Aufgabe der Planung Ziele und Grundätze formuliert, die Behörden und andere Planungsträger unmittelbar binden. Inhalt der Regionalpläne sind beispielsweise Vorrangflächen für Windkraftanlagen mit der Wirkung diese Flächen für die Windenergie zu sichern. Eine Ausschlusswirkung in den nicht erfassten Gebieten ist damit nicht verbunden (vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 1 RhPfLPlG). Inhalte eines Regionalen Raumordnungsplans sind zudem Darstellungen zur Freiraumstruktur (bspw. regionale Grünzüge) und Infrastruktur, dabei insbesondere solche zur erneuerbaren energetischen Nutzung nachwachsender Rohstoffe.

Im Folgenden und in Abb. 2 ist ein möglicher Ablauf skizziert, der die vorgezogene und verfahrensbegleitende Beteiligung zur Neuaufstellung des Regionalen Raumordnungsplanes erfasst. Beteiligung erfolgt hierbei vordergründig direkt über ein Mandat der Regionalvertretung für die gesamte Planungsregion. Zur Verankerung und Implementierung von kommunalen Maßnahmen z.B. eines Energie- oder Klimaschutzkonzepts kann dabei eine Gemeinde bei der nächsten Neuaufstellung des Regionalen Raumordnungsplans hinwirken. Dies kann sie entweder direkt über ihre Stellungnahme oder indirekt über die jeweiligen Vertreter in der Regionalvertretung (§ 14 Abs. 1 RhPfLPlG) durchführen. Im Idealfall wurden für die Erstellung der Energie- und Klimaschutzkonzepte zivilgesellschaftliche Beratungs- und Beteiligungsprozesse ohne Verfahrensbezug durchgeführt (s. Kap. 5).

Zur Aufstellung eines Regionalen Raumordnungsplans ist ein Aufstellungsbeschluss der Regionalvertretung erforderlich (vgl. § 14 Abs. 3 S. 1 RhPfLPlG). Es ist sinnvoll, bereits vor oder zeitgleich mit dem Aufstellungsbeschluss ein Mandat der Regionalvertretung zur Durchführung der Bürgerbeteiligung für die gesamte Planungsregion zu verabschieden.

Diese vorgezogene Beteiligung kann bspw. dem Sammeln von Anregungen dienen oder eine Empfehlung der Bürger*innen für eine Zielrichtung im Rahmen der Vorgaben des Landesentwicklungsplans enthalten.

Die Ergebnisse dieser vorgezogenen Beteiligung werden abgewogen und fließen in den Planentwurf ein.

Parallel zum Ablauf der Erstellung des Regionalen Raumordnungsplans (in Abb. 2 in blau dargestellt 17) sollten begleitende Beteiligungsprozesse durchgeführt werden. Schon bei der Erstellung des Planentwurfs unter Beteiligung der von der Planung berührten Behörden und Planungsträger des Bundes und des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände (§ 10 Abs. 2 RhPfLPlG) kann dieser durch die Kommunen dargestellt und zur Diskussion gestellt werden. Nur an dieser Stelle kann die Kommune eine verfahrensbegleitende Beteiligung durchführen. Ergebnis des diesen Verfahrensschritt begleitenden Beteiligungsprozesses können Stellungnahmen oder Änderungsvorschläge der Bürgerschaft sein.

Diese fließen als Abwägungsbelang in die Überarbeitung des Planentwurfs ein.

Mit der Freigabe zur Durchführung des Anhörungs- und Beteiligungsverfahrens durch die Regionalvertretung wird eine formalisierte Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 6 RhPfLPlG durchgeführt. In dem Beteiligungsprozess, der diesen Verfahrensschritt begleitet, sollte der überarbeitete Planentwurf wieder umfassend dargestellt werden. Durch die umfassende systematisierende Information ist die Bürgerschaft dann in der Lage Stellungnahmen zu diskutieren und ggfs. Stellungnahmen so vorzubereiten, dass diese in die förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung einfließen können.

Nach Ablauf der Frist zur Abgabe der schriftlichen Stellungnahmen, werden diese ausgewertet und geprüft. Bei wesentlichen Änderungen oder Ergänzungen des Planentwurfs muss vor der Beschlussfassung das Beteiligungsverfahren gem. § 6 Abs. 4 RhPfLPlG wiederholt werden.

Die Abwägung und Beschlussfassung des Regionalen Raumordnungsplans erfolgt im Anschluss durch die Regionalvertretung.

Die Darstellungen dieses Abschnitts beziehen sich auf das Landesplanungsgesetz Rheinland- Pfalz. Für die anderen Bundesländer wird auf das jeweils geltende Landesplanungsgesetz i.V.m. dem Raumordnungsgesetz verwiesen. Auf die Besonderheiten der Länder BE, HB, HH wird nicht eingegangen.

Beteiligung bei der Aufstellung eines Regionalen Raumordnungsplans (Lena Strothe, Gisela Wachinger)

Abbildung 2: Beteiligung bei der Aufstellung eines Regionalen Raumordnungsplans (Lena Strothe, Gisela Wachinger); Link zur Legende

Anmerkungen zu Abbildung 2: Regionalplanung (Stand September 2018)

  • Anmerkung 1, Aufstellungsbeschluss:
    • für die anderen Bundesländer siehe: § 31 Abs. 1, § 35 Abs. 1LPlG BW; Art. 8, Art. 10, Art. 22 LPlG BY; §§ 2, 4, 6 RegBkPlG BE und BB; §6, § 14 LPlG HE; § 9 Abs. 1, § 12 LPlG MV; § 3 Abs. 1, § 20 NI ROG; §§, 4, 9, 13 LPlG NW; § 2,3 LPlG SL, in SL übernimmt die Aufgaben der Regionalplanung die Landesplanung; §§ 4, 6, 9 LPlG SN; §§ 9, 21 LEntwG ST; §§ 4, 5,9 LPlG SH; §§ 5, 14, 15 LPlG TH.

  • Anmerkung 2, Strategische Umweltprüfung:
    • für RhPfl. § 6 RhPfLPlG
    • für die anderen Bundesländer siehe: § 2a LPlG BW; Art. 16 LPlG BY; § 2a RegBkPlG BE und BB; § 6 LPlG HE; § 4 Abs. 5, § 7 Abs. 4, § 9 Abs. 3 und 5 MV; § 1 Abs. 2 NI ROG; § 13 Abs. 1 LPlG NW; § 3 Abs. 3 und 5 LPlG SL; § 2 Abs. 2, § 6 Abs. 2 LPlG SN; LEntwG ST k.A.; § 5 Abs. 12 LPlG SH; § 2 Abs. 3, § 3 Abs.2 und 3 LPlG TH.

  • Anmerkung 3, Beteiligung der von der Planung berührten Behörden und Planungsträger des Bundes und des Landes Gemeinden und Gemeindeverbände:

    • für die anderen Bundesländern siehe: § 12 Abs. 2 Nr. 1 LPlG BW; Art. 15 Abs. 3, Art. 16 LPlG BY; § 2 Abs. 3 RegBkPlG BE und BB; § 4 Abs. 3, § 6 LPlG HE; § 7 Abs. 2 und 3, § 9 Abs. 3 LPlG MV; § 3 Abs. 2 NI ROG; § 13 Abs. 1 LPlG NW; § 3 Abs. 5 LPlG SL; § 6 LPlG SN; LEntwG ST k.A.; § 5 Abs. 5 LPlG SH; § 3 Abs. 3 LPlG TH.
  • Anmerkung 4, Formalisierte ÖB

    • für die anderen Bundesländern siehe: § 12 Abs. 3 LPlG BW; Art. 16 LPlG BY, § 2 Abs. 3 RegBkPlG BE und BB; § 6 LPlG HE; § 7 Abs. 2 und 3, §9 Abs. 3 LPlG MV; § 3 Abs. 2 und 3, § 5 NI ROG; § 13 Abs. 1 LPlG NW; § 3 LPlG SL; § 6LPlG SN; LEntwG ST k.A.; § 5 LPlG SH; § 3 LPlG TH.
  • Anmerkung 5, Wiederholung des Verfahrens bei wesentlichen Änderungen oder Ergänzungen

    • für die anderen Bundesländern siehe (ggfs. mit Abweichungen): § 6 LPlG BW; Art. 16 Abs. 6 LPlG BY; § 2 RegBkPlG BE und BB; § 6 Abs. 4 LPlG HE; §§ 7,9 LPlG MV; § 1 Abs. 2 NI ROG; § 13 Abs. 2 LPlG NW; § 3 Abs. 7 LPlG SL; § 6 Abs. 3 LPlG SN; LEntwG ST k.A.; § 5 Abs. 9 LPlG SH; § 3 Abs. 3 LPlG TH.

4.3 Beteiligung in der Bauleitplanung

Änderungen oder Aufstellungen eines Flächennutzungsplans (vorbereitender Bauleitplan, vgl. § 1 Abs. 1 BauGB) oder eines Bebauungsplans (verbindlicher Bauleitplan, vgl. § 1 Abs. 1 BauGB) müssen den im Baugesetzbuch genannten Verfahrensvorschriften, den §§ 2 ff. BauGB, folgen. Aufgabe der Bauleitpläne ist es, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe des Baugesetzbuches vorzubereiten und zu leiten (§ 1 Abs. 1 BauGB). Ziel der Bauleitplanung ist es u.a., eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt zu gewährleisten (§ 1 Abs. 5 S.1 BauGB). Dabei fließen, neben weiteren Planungsleitlinien, die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sowie die Belange des Umweltschutzes, einschließlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege in die Bauleitplanung ein (§1 Abs. 6 BauGB).

Bei der Aufstellung eines solchen Planes kann es sinnvoll sein, über die gesetzlich geregelte Bürgerbeteiligung hinaus Dialogformate der Beteiligung anzuwenden.

Die Verfahrensvorschriften der §§ 2 ff. BauGB sehen diverse Verfahrensschritte bei der Aufstellung eines Bauleitplans vor. Dazu gehören neben der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung als Option auch solche der teilformalisierten und formalisierten Öffentlichkeitsbeteiligung. Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung kann gem. § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BauGB bereits auf einer anderen Grundlage als die Aufstellung des Bauleitplans durchgeführt worden sein. Eine solche Beteiligung kann im Rahmen der Änderung oder Aufstellung eines Flächennutzungsplans dann später die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung ersetzen bzw. als solche angerechnet werden, wenn sie die Voraussetzungen des § 3 Abs.1 BauGB erfüllt. Damit werden gleichzeitig das Erfolgskriterium der frühzeitigen Beteiligung erfüllt und Ressourcen gespart.

In Abb. 3 ist der generelle Ablauf der Beteiligung in der Bauleitplanung dargestellt. Vor gesetzlich nicht geregelten Beteiligungsverfahren ist ein Gemeinderatsbeschluss über dessen Durchführung erforderlich.

Im Rahmen einer vorgezogenen Beteiligung können bereits vor dem Aufstellungsbeschluss die allgemeinen Ziele der Planung diskutiert werden. Dazu muss zunächst eine umfassende Information der Bürgerschaft erfolgen, die unter anderem über die gesetzlichen Voraussetzungen der Bauleitplanung aufklärt, in deren Rahmen sich die Beteiligung bewegen muss. So ist z.B. der Erlass eines Bebauungsplans an die Erforderlichkeit für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung geknüpft.18 Die Bürgerschaft kann auf dieser Grundlage dann Kriterien für die Auswahl von Flächen aufstellen oder die Planung ablehnen. Bei der Durchführung und Planung der Beteiligungsformate sollte eine Juristin/ ein Jurist als Experte hinzugezogen werden, um die Fragen der Bürger*innen direkt vor Ort beantworten zu können.

Die Ergebnisse der vorgezogenen Beteiligung werden zweckmäßigerweise als Abwägungsmaterial in den Vorentwurf, der nach dem Aufstellungsbeschluss erstellt wird, aufgenommen. In den Vorentwurf müssen auch die Ergebnisse der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs.1 BauGB einfließen, zudem besteht die Möglichkeit verfahrensbegleitende Beteiligung durchzuführen. Eine zusätzliche Bekanntmachung (z.B. online) oder ein Diskussionsforum können solche Elemente sein. Auch kann an dieser Stelle zusätzlich eine Gelegenheit zur Abgabe von Stellungnahmen gegeben werden. Die allgemeinen Kriterien und die daraus resultierenden Flächen sollten innerhalb der Leitplanken ergebnisoffen diskutiert werden können (s. Erfolgskriterium „Entscheidungsspielraum“).

Der ggfs. angepasste Vorentwurf wird dann der formalisierten Öffentlichkeitsbeteiligung gem. § 3 Abs. 2 BauGB unterzogen. Auch hier kann durch zusätzliche Bekanntmachung und Auslegung der Zugang einer breiten Öffentlichkeit gewährleistet werden. In geeigneten Beteiligungsformaten kann wiederum die Abgabe von Stellungnahmen vorbereitet werden.

Danach wird der Vorentwurf wiederum ggf. an die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung angepasst,

bevor er dem Gemeinderat zur Abwägung und Entscheidung vorgelegt wird.19 (siehe Abb. 3) 20.

Beteiligung bei der Flächennutzungsplanung (Lena Strothe, Gisela Wachinger)

Abbildung 3: Beteiligung bei der Flächennutzungsplanung (Lena Strothe, Gisela Wachinger); Link zur Legende

5 Praxisbeispiele und Empfehlungen

Gisela Wachinger, Ute Kinn, Sarah Wist

5.1 Praxisbeispiel zu zivilgesellschaftlichen Beratungs- und Beteiligungsprozessen: Energiekonzept Landkreis Ahrweiler

Gisela Wachinger, Sarah-Kristina Wist, André Schaffrin

Das Bundesforschungsprojekt EnAHRgie zeigt, wie Beratung und Beteiligung bereits im Vorfeld von formellen Planungs- und Genehmigungsverfahren stattfinden und politische Entscheidungen vorbereiten können. EnAHRgie entwickelte für den Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz ein Energiekonzept, wie das vom Kreistag gesteckte Ziel, in der Region 100% Erneuerbare Stromversorgung (bilanziell) bis 2030 umgesetzt werden kann. Entscheidungen des Kreistags und der kommunalen Gremien zur Umsetzung des Energiekonzepts sollten gemeinsam mit den Stakeholdern vorbereitet werden.

Die lokalen Stakeholder sollten nicht nur Meinungen und Ideen beisteuern, sondern gleichzeitig umfassend über die Inhalte des Energiekonzepts informiert werden. Dabei wurde durch eine externe Moderation der Beratungs- und Beteiligungsveranstaltungen sichergestellt, dass alle Meinungen und Ideen gehört werden und in die Erarbeitung des Energiekonzepts einfließen konnten. Wichtig war die klare Kommunikation des Entscheidungsraums.

Zivilgesellschaftliche Beratung in Ahrweiler

Im Vorfeld der Entwicklung von Energieszenarien im Projekt EnAHRgie wurde eine Fokusgruppe mit Handwerkern und Energieberatern der Handwerkskammer durchgeführt. Sie hatte zum Ziel, die Status-Quo-Analyse des Projektes durch eine Praxisberatung zu unterstützen. Aus den Ergebnissen sollen zwei Punkte herausgegriffen werden, die den weiteren Verlauf des Projektes mitbestimmt haben: Erstens wurde durch die Fokusgruppe die Energieeffizienz als wesentliches Eingangskriterium für die Szenarien eingeführt, zweitens wurde die Rolle von Verwaltung und Politik in der Umsetzung des Kreistagsbeschlusses von der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft thematisiert.

Weitere drei Fokusgruppen mit offener Einladung an interessierte Bürger*innen wurden zum Zeitpunkt der Szenarienentwicklung durchgeführt. Sie bestätigten die Kriterien und Technologien der Szenarienzusammenstellung und lieferten Begründungen für die Rolle der Windkraft bei der Szenarienmodellierung. Nach Abschluss der Szenarienauswahl durch das Projekt wurde eine Fokusgruppe mit Jugendlichen durchgeführt, die die Rolle der Technologien in den Szenarien diskutierte. Alle Ergebnisse wurden durch die Projektgruppe von EnAHRgie im Energiekonzept aufgegriffen und verwertet.

Zivilgesellschaftliche Beteiligung in Ahrweiler

Für die Beteiligung am Energiekonzept und für die Erarbeitung von Empfehlungen für die Umsetzung an die politischen Gremien wurde ein „Runden Tisch Verbände und Vereine“ etabliert. Ziel war es, die Umweltverbände und weitere Vereine als inhaltlich relevante Stakeholder mit unterschiedlichen Interessen frühzeitig in die Diskussion zur Umsetzung des Kreistagsbeschlusses „100% Strom aus erneuerbarer Energie bis 2030“ mit einzubeziehen. Um größtmögliche Fairness zu garantieren war es von Anfang an entscheidend, alle betroffenen Organisationen einzuladen. Hierfür wurden bereits vor Projektbeginn auf Basis von Presseauswertungen und Stakeholder-Interviews elf Verbände und Vereine einzeln angesprochen und Einzeltreffen durchgeführt, bevor es zu einem ersten Treffen des Runden Tisches kam. Es wurden Vertreter*innen folgender Gruppen eingeladen: BUND Kreisgruppe Ahrweiler, NABU Kreisverband Ahrweiler e.V., Solarverein „Goldene Meile e.V.“, Eifelverein, Romantischer Rhein Tourismus GmbH, Ahrtal Tourismus, Brohltal Tourismus, Eifeltourismus GmbH, Landesjagdverband e.V. Kreisgruppe Ahrweiler, Waldbauverein Ahrweiler e.V. und Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau e. V.. Die meisten von ihnen nahmen regelmäßig an insgesamt 12 Sitzungen innerhalb von drei Jahren teil.

Die Verbände und Vereine des Landkreises Ahrweiler brachten einen großen Sachverstand mit und vertraten sehr unterschiedliche Interessen zur Umsetzung des oben genannten Kreistagsbeschlusses. Daher bildeten sie eine Basis für einen echten informierten Dialog und, trotz starke Konfliktbehaftung des Themas Windkraft, die Suche nach einem Konsens. Die Einbeziehung der Vertreter*innen der Verbände und Vereine hat einen weiteren Vorteil, denn nach Umweltrechtsbehelfsgesetz sind anerkannte Umweltverbände klagebefugt. In einem frühen Planungsstadium kann auf die Einwände der Verbände und Vereine noch reagiert werden, in einem späteren Stadium können die nicht beachteten Bedenken zu einer Klage der anerkannten Verbände und Vereine gegen geplante Vorhaben führen. Auch aus diesem Grund ist es sinnvoll, die Einwände früh zu kennen und wenn möglich Lösungen dafür zu finden.

Die Konzeption der Sitzungen beruhte auf den Bausteinen:

  • Information zur aktuellen Arbeit am Energiekonzept im Projekt EnAHRgie (3 Sitzungen, sowie ein Tagesordnungspunkt auf allen Sitzungen)

  • Inhaltliche Information und Diskussion zu Energiethemen (3 Sitzungen zu Biomasse, Photovoltaik und Windenergie)

  • Beratung des Projektes in Form der partizipativen Modellierung zu den Bausteinen „Szenarien­entwicklung“, „Prüffähige Flächen für Windkraft“ und „Szenarienmodellierung“ durch den Runden Tisch (3 Sitzungen)

  • Verstetigung des Runden Tisches über das Projektende hinaus (1 Sitzung)

  • Ausarbeitung der Empfehlung an die politischen Gremien im Landkreis Ahrweiler (1 Sitzung)

  • Beschlussfassung über die Empfehlung und Übergabe an das Projekt (1 Sitzung)

Der Runde Tisch und die Gremien wurden fachlich von einem Mitarbeiter des Projektes EnAHRgie geleitet und von einer Mediatorin nach den Regeln der Neutralität und Allparteilichkeit moderiert. Ergebnis der Verbändebeteiligung war eine detaillierte Empfehlung des Runden Tisches zu der Umsetzung der Energie- und Effizienzpotentiale im Landkreis Ahrweiler. Diese wurde offiziell an das Bundesforschungsprojekt und im Rahmen der Abschlussveranstaltung an den Landrat, die Kommunen und die Wirtschaftsvertreter des Kreises übergeben. Diese Empfehlungen waren dann Bestandteil eines einheitlichen Gremienbeschlusses aller hauptamtlichen Kommunen (Stadträte, Verbandsgemeinderäte) im Landkreis.

5.2 Praxisbeispiel Beteiligung zur Aufstellung eines regionalen Raumordnungsplans: Beteiligung zur Ausweisung von Vorranggebieten für Windkraftanlagen in den Gemeinden Schorndorf und Winterbach

Gisela Wachinger, Ute Kinn

Das Beispiel der Gemeinden Schorndorf und Winterbach in Baden-Württemberg zeigt, wie es gelingen kann, aus der Falle der NIMBY-Konflikte (Not In My Backyard) herauszukommen und das auch bei dem besonders konfliktreichen Thema Windkraft.

Ausgangslage und Konzept

Der Entwurf des Regionalplans des Verbandes der Region Stuttgart sah anlässlich einer Neuaufstellung Vorranggebiete für Windkraftanlagen in den Gemeinden Winterbach und Schorndorf vor. Der erste Entwurf des geänderten Regionalplanes wurde im Frühjahr 2012 vorgestellt. Auf der Grundlage des Windatlass Baden-Württemberg, welcher Windhöffigkeiten und einige harte Ausschlusskriterien wie Naturschutzgebiete enthält, schlug der Verband der Region Stuttgart fünf Vorranggebiete „Wind“ für den Bereich Winterbach und Schorndorf vor.

„Mit dem Regierungswechsel in Baden-Württemberg verankerte die rot-grüne Landesregierung 2012 den Ausbau der Windenergie im Landesplanungsgesetz. Bis dato noch Schlusslicht im Ländervergleich setzte die Regierung nun auf den Ausbau der Windkraft auf mindesten 10% des Strombedarfs bis 2020. Im Zuge der damit verbundenen Novellierung des Landesplanungsgesetzes wurden die bestehenden Regionalpläne und die in diesen vorgesehenen Vorrang- und Ausschlussflächen für Windenergie per Gesetz aufgehoben. Gemeinden waren nun aufgerufen, Vorrangflächen für Windkraft auf ihrem Gemeindegebiet auszuweisen. Einige Gemeinden machten dafür von punktueller Bürgerbeteiligung via Informationsveranstaltungen Gebrauch. In Schorndorf wurde ein mehrtägiges erweitertes Bürgerbeteiligungsverfahren initiiert, um die Bürger in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Die Frage der Windkraft in der Region um Schorndorf wurde von Bürgerinitiativen kritisch bewertet. Eine Initiative sprach sich gegen Windenergie im Schurwald aus, um diese bisher unbelasteten Flächen entsprechend zu erhalten. Eine weitere Bürgerinitiative gegen Windenergie auf der Buocher Höhe gründete sich im Herbst 2012 im Zuge des Bürgerbeteiligungsverfahrens, das zur Frage der Windkraft in Schorndorf und Winterbach stattfand. Die Initiative für das Beteiligungsverfahren ging vom Technischen Ausschuss der Stadt Schorndorf aus, der dem Gemeinderat Vorschläge für ein Konzept unterbreitete. Abgestimmt wurde dabei über ein gemeinsames Vorgehen mit der Stadt Winterbach, da potentielle Flächen für Windenergie auf der gemeinsamen Gemarkungsgrenze lagen. Schorndorf stellt für das Verfahren 2/3 der insgesamt ca. 30.000 Euro Verfahrenskosten, den verbleibenden Teil finanzierte die Gemeinde Winterbach. Ergebnis war ein Bericht, der eine Bürgerempfehlung an den Gemeinderat zur Windkraft in Schorndorf und Winterbach beinhaltete. Dieser Bericht entstand auf Basis der Sitzungsprotokolle und wurde durch ein Redaktionsteam bestehend aus den Moderatoren und Teilnehmern der Planungswerkstätten auf Richtigkeit geprüft. In der Bürgerempfehlung wurden die fünf diskutierten Windvorranggebiete vorgestellt, die Verteilung von Zustimmung, Ablehnung und Zustimmungen unter Vorbehalt sowie Begründungen für diese dargelegt. Drei der fünf Gebiete erhielten dabei eine Zustimmung von ca. 50%.“21

Ablauf

Der Ablauf dieser Beteiligung wird anhand von Abb. 4a und 4b beschrieben: In einer ersten Planungswerkstatt am 21. September 2012 wurden die Vorranggebiete auf Basis der Entwurfs-Offenlegung (vom 25.07.2012) des Verbandes der Region Stuttgart (VRS) auf der Gemarkung Schorndorf und Winterbach vorgestellt. In moderierten Arbeitsgruppen wurden alle Anregungen, Chancen und Risiken ergebnisoffen diskutiert (geleitet durch eine neutrale Moderation) und Fragen der Teilnehmer*innen an die Experten erfasst. Um diese Fragen zu beantworten fand am 15. Oktober 2012 das Experten-Hearing statt. Am Expertenhearing, zu dem durch die Presse öffentlich eingeladen wurde, konnten Vertreter*innen der Bürgerbeteiligung, der Städte Schorndorf und Winterbach, der Firma Theolia Naturenergien, des Landratsamts Rems-Murr-Kreis, des Verbandes der Region Stuttgart, der Forstdirektion Tübingen, der Stadtwerke Schorndorf GmbH sowie des Virtual Dimension Center (VDC) Fellbach teilnehmen. Die Antworten und offen gebliebene Fragen wurden in die zweite Planungswerkstatt eingebracht. Dort waren die Teilnehmer*innen zu einer individuellen Bewertung der Flächen aufgefordert.

Ergebnis

Ergebnis der zweiten Planungswerkstatt war eine detaillierte Bürgerempfehlung zu jeder der Prüfflächen. Auf der Basis der Protokolle prüfte ein Redaktionsteam die Bürgerempfehlung, ob sie die Aussagen der Teilnehmenden der Planungswerkstätten inhaltlich richtig wiedergab. Das Redaktionsteam setzte sich zusammen aus Mitgliedern der Bürgerforen und der Moderation, die Abstimmung erfolgte auf elektronischem Weg.

Die Bürgerempfehlung wurde dem Gemeinderat zur Berücksichtigung in der Stellungnahme an den Regionalverband bzw. für künftige Beschlüsse übergeben. Die Entscheidung über die Stellungnahme der Gemeinde traf der Gemeinderat. Im Rahmen seiner Stellungnahme zum Regionalplan an den Verband der Region Stuttgart wurde die Empfehlung der Bürgerschaft weitergegeben. Dieser behandelte die Empfehlung in seiner Diskussion zur Überarbeitung des Planentwurfs und nahm detailliert zu den Ergebnissen des Beteiligungsprozesses Stellung.

Die Hoffnung, dass die Beteiligung dazu führt, dass gegen das Vorhaben auf den auf diese Weise ausgewählten Vorrangfläche keine Klageverfahren angestrengt werden, hat sich im Beispiel Schorndorf-Winterbach nicht uneingeschränkt erfüllt: im Zuge des Einzelgenehmigungsverfahrens für einen Windkraftstandort klagte eine Bürgerinitiative, die allerdings aus Personen bestand, die nicht an dem Beteiligungsprozess teilgenommen hatten.

Die Verwaltungen in Schorndorf und Winterbach äußerten sich dennoch positiv über die Auswirkungen des Beteiligungsprozesses: Die von den Teilnehmenden vorgebrachten Argumente und von den Fachleuten beantworteten Fragen seien sehr wichtig für die Meinungsbildung in den kommunalen Gremien gewesen.

Beispiel Beteiligung zu Vorrangflächen für Windkraftanlagen in den Gemeinden Schorndorf und Winterbach: Regionalplanung (Beteiligung der Gemeinden Schorndorf und Winterbach bei der Aufstellung des Regionalplans der Region Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Winterbach und GRiPS, Ettlingen)

Abbildung 4a: Beispiel Beteiligung zu Vorrangflächen für Windkraftanlagen in den Gemeinden Schorndorf und Winterbach: Regionalplanung (Beteiligung der Gemeinden Schorndorf und Winterbach bei der Aufstellung des Regionalplans der Region Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Winterbach und GRiPS, Ettlingen); Link zur Legende

Abbildung 4b: Ablauf der Beteiligung zu Vorrangflächen für Windkraftanlagen in den Gemeinden Schorndorf und Winterbach GRiPS, Ettlingen in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Winterbach und GRiPS, Ettlingen)

5.3 Praxisbeispiel: Beteiligung zur Flächennutzungsplanung in der Stadt Emmendingen

Gisela Wachinger, Ute Kinn

Ausgangslage und Konzept:

Dieses Beispiel illustriert die Bedeutung des Erfolgsfaktors „Ernsthaftigkeit“: Ein Bürgerentscheid hatte die Ausweisung einer Wohnbaufläche („Haselwald-Spitzmatten“) in der Teilfortschreibung des Flächennutzungsplanes verhindert. Daraufhin beschloss der Gemeinderat, alle Bürger*innen der Kommune, und besonders die Bürgerinitiative, die das Bürgerbegehren initiiert hatte, in die weitere Flächennutzungsplanung mit einzubeziehen und die Kriterien für das Wachstum der Gemeinde mit den Bürger*innen zu erarbeiten. Aufgrund des Bürgerbescheids war sowohl für die Verwaltung, als auch für die rund 100 Teilnehmenden klar, dass die Ergebnisse einer solchen Beteiligung ernsthaft als Abwägungsbelang Eingang in die Planung finden müssen. Damit war in diesem Beispiel auch die Anschlussfähigkeit, die sehr oft fehlt und Beteiligung fraglich werden lässt, gesichert.

Die Beteiligung fand 2016 im Vorfeld der Fortschreibung des Flächennutzungsplans 2020 bis 2035 statt. Ein ausgewiesenes Beteiligungsbüro wurde beauftragt, für die Stadt Emmendingen die Beteiligung zu konzeptionieren und in dem Format einer Planungswerkstatt mit mehreren Veranstaltungen (die hier Perspektivwerkstätten genannt wurde) durchzuführen. Der strukturierte Prozess bot den Bürger*innen die Gelegenheit, die Rahmenbedingungen für die Fortschreibung des Flächennutzungsplans in einer Empfehlung an den Stadtrat zu formulieren.

„Die Stadt Emmendingen ist Mitglied in der Vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft Emmendingen (VVG). Diese umfasst die Gemeinden Malterdingen, Teningen, Freiamt, Emmendingen und Sexau. Die VVG beschließt ihren Flächennutzungsplan gemeinsam.

Der letzte Flächennutzungsplan der Vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft Emmendingen wurde am 14.07.2006 wirksam und kann auf der Homepage der Stadt Emmendingen eingesehen werden. Der Flächennutzungsplan gilt immer für einen bestimmten Zeitraum, meistens zwischen 15 und 20 Jahren. Für die VVG Emmendingen muss also in den nächsten Jahren ein neuer FNP aufgestellt werden. Solch eine Aufstellung dauert in der Regel mehrere Jahre und am Ende muss der Plan von der Vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft beschlossen werden.

Die Stadt Emmendingen möchte jetzt schon vor Beginn des Verfahrens wissen, welche Schwerpunkte die Emmendinger Bürger setzen möchten und diese Informationen dann in die Neugestaltung des FNP aufnehmen.“ 22

Der gesamte Beteiligungsprozess wurde von einer Projektgruppe begleitet, der Vertreter*innen der Verwaltung, des Stadtrates, des Bürgerforums Emmendingen sowie der „Bürgerinitiative Haselwald-Spitzmatten“ angehörten. Es wurde kein Einfluss auf das Ergebnis der Beteiligung seitens der politischen Vertreter oder der Verwaltung genommen.

Ablauf:

In der öffentlichen Auftaktveranstaltung, für die keine Anmeldung erforderlich war, wurde die interessierte Öffentlichkeit über den Stand des aktuellen Flächennutzungsplans informiert und über die Gründe, warum die Fortschreibung notwendig ist. Im Anschluss an den Informationsteil hatten die Teilnehmer*innen Gelegenheit, an Dialog-Stationen ähnlich wie bei einem World-Café mit der Verwaltung ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen sowie erste Ideen einzubringen, was die künftige Flächennutzungsplanung in Bezug zur Wohnflächenentwicklung berücksichtigen sollte. Diese Anregungen wurden in die erste Planungswerkstatt eingespeist (zum Ablauf siehe Abb. 5b).

Für die Teilnahme an den beiden Planungswerkstätten war eine Anmeldung erforderlich: Es hatten sich rund 90 Personen angemeldet. Eingeladen wurde über Presse, Website und Flyer, die an öffentlichen Stellen auslagen um allen Betroffenen einen fairen Zugang zu ermöglichen. Außerdem wurden 2000 Personen aus der volljährigen Bevölkerung der Stadt Emmendingen per Zufall ausgewählt und eingeladen. Wissens- und Erfahrungsträger mit Wirkungsstätte in Emmendingen wurden gezielt zur Teilnahme gebeten. Es wurde darauf geachtet, ein möglichst breites Spektrum an Interessen über die Schlüsselakteure abzubilden.

In der ersten Planungswerkstatt hielten die Teilnehmer*innen unter Anleitung der Moderation in neun Arbeitsgruppen fest, was ihnen für die künftige Wohnraumentwicklung in Emmendingen wichtig ist, wo sie Handlungsbedarf sehen und welche Fragen bestehen. Am Ende der ersten Werkstatt lag bereits ein Bündel an Zielen und Anregungen für die künftige Flächennutzungsplanung im Entwurf vor. In der zweiten Werkstatt ging es dann darum, sich auf Ziele für die künftige Flächennutzungsplanung in Emmendingen zu verständigen, Prioritäten zu setzen und zu benennen, wo aus Sicht der Teilnehmer*innen weitere Untersuchungen nötig sind.

Alle Teilnehmenden bekamen in der zweiten Planungswerkstatt die Gelegenheit, mit Hilfe einer Punktevergabe die Aussagen aus der ersten Planungswerkstatt zu bewerten. Dabei sollten nicht Mehrheitsentscheidungen herbeigeführt werden, sondern dem Gemeinderat ein Eindruck vermittelt werden, welche Bedeutung der von den Arbeitsgruppen getroffenen Aussagen beigemessen wird. Die Argumentationslinien zu allen Aussagen, auch zu solchen, die keine Punkte erhielten, wurden im Protokoll vom Moderationsteam dokumentiert. Die abschließende Empfehlung wurde von den Moderator*innen zusammen mit 18 Delegierten der Planungswerkstatt, als „Bürgerempfehlung im Vorfeld der Flächennutzungsplanung“ für Emmendingen ausgearbeitet (siehe Abb. 5a).

Ergebnis:

Die ausgearbeiteten Hinweise, Bedenken und Anforderungen sollen soweit möglich bei der zukünftigen Bauland- und Freiraumentwicklung berücksichtigt werden und in die Flächennutzungsplanung einfließen. Gegenwärtig findet eine weitere Beteiligung zu einem Stadtentwicklungskonzept statt. Durch die Beteiligungen im Vorfeld der Aufstellung des Flächennutzungsplanes sollen die Kriterien und Zielvorstellungen der Bürgerinnen und Bürger so frühzeitig einbezogen werden, dass weitere Bürgerentscheide zur Flächengestaltung vermieden oder zumindest gut vorbereitet werden können.

Beispiel Beteiligung zu Vorrangflächen für Windkraftanlagen in den Gemeinden Schorndorf und Winterbach: Regionalplanung (Beteiligung der Gemeinden Schorndorf und Winterbach bei der Aufstellung des Regionalplans der Region Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Winterbach und GRiPS, Ettlingen)

Abbildung 5a: Beispiel Beteiligung zur Flächennutzungsplanung in der Stadt Emmendingen (in Zusammenarbeit mit der Stadt Emmendingen und GRiPS, Ettlingen); Link zur Legende

Abbildung 5b: Ablauf der Beteiligung im Vorfeld der Flächennutzungsplanung in der Stadt Emmendingen (in Zusammenarbeit mit der Stadt Emmendingen und GRiPS, Ettlingen)

5.4 Praxisbeispiel zur Bebauungsplanung: Schoch-Areal (Stadt Stuttgart) Architekturwettbewerb mit energieneutralem Quartier: Bebauungsplan-Verfahren

Gisela Wachinger, Ute Kinn

Ausgangslage und Konzept:

Das Beteiligungsverfahren zum „Architekturwettbewerb Schoch-Areal“ ist ein besonders gutes Beispiel für eine kreative Prozessgestaltung. Die Konzeption wurde durch das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung der Stadt Stuttgart in enger Abstimmung den Beteiligungsbüros pro re, Stuttgart und GRiPS, Ettlingen, erarbeitet. Das Beispiel zeigt, wie die Spielräume im Planungsablauf genutzt werden können, um einen langen schwelenden Konflikt in eine „Erfolgsstory“ der kommunalen Planung zu verwandeln.

Zur Ausgangslage: Auf der Fläche der ehemaligen Verchromungsanlage (Firma Gebrüder Schoch) mit einer Chromat-Altlast, die eine bundesweit einmalig große Gefährdung für Grundwasser und Boden darstellte, sollte ein neues Stadtquartier gebaut werden. Zwischenzeitliche Investoren und einige Anwohner wünschten sich zunächst den Erhalt der historischen Fabrikgebäude und legten einen Architekturentwurf vor, der u.a. die Nutzung als eine Markthalle vorsah. Der Stadtverwaltung wurde unterstellt, das Grundstück günstig erwerben und aus wirtschaftlichen Gründen die Gebäude abreißen und mit einer dichten Bebauung versehen zu wollen. Die Gefährdung durch die Altlast wurde als Alibi für einen Abriß angesehen.

Auf dieser Grundlage war es besonders wichtig für die Konzeption des Beteiligungsverfahrens die Transparenz und das Vertrauen zwischen allen Beteiligten, besonders auch zu dem externen Gutachter, herzustellen. Dies gelang unter anderem durch Führungen auf dem Gelände (bei denen man das Chromat grünlich aus den Gebäudewänden herausblühen sehen konnte) und durch die aktive Möglichkeit zur Mitwirkung an der Ausschreibung des städtebaulichen Wettbewerbs. Die Resultate waren dann zeitnah und unmittelbar sichtbar in der Ausstellung der Entwürfe des Wettbewerbes. Die bei diesen Veranstaltungen eingebrachten Vorschläge der Bürger*innen wurden zugleich als Einwändekatalog gesammelt und konnten so zur Vorbereitung des Bebauungsplanverfahrens (das parallel lief) verwendet werden. In Abb. 6a sind die Abläufe von Planung und Beteiligung dargestellt.

Ablauf:

Bereits bei der Auftaktveranstaltung wurden den Bürger*innen folgende Leitplanken kommuniziert: Städtebauliche Zielsetzungen, Änderung der Verkehrsführung und Ergebnisse des Lärmgutachtens, Sanierungserfordernisse und möglicher Bestandserhalt sowie wirtschaftliche Zusammenhänge. Den Auftakt für die Beteiligung bildete der Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan des Areals durch den Umwelt- und Technikausschuss der Stadt Stuttgart. Die Beteiligung umfasste folgende Schritte:

  1. Tag des offenen Schoch-Areals als Auftaktveranstaltung: Mehrere hundert Interessierte verschafften sich vor Ort einen Überblick über Rahmenbedingungen und Gebäudebestand auf dem Schoch – Areal mit Ideensammlung und Interessenbekundung

  2. Strategie- und Planungswerkstatt: Erarbeitung eines Pflichtenheftes für einen Architekturwettbewerb als Empfehlung an die Gremien. Dabei erarbeiteten die noch 70 Teilnehmer*innen folgende Vorschläge:

    • Erweiterung des Planungsgebietes als Empfehlung

    • Sanierungserfordernisse wurden gesehen und lösungsorientiert aufgenommen.

    • Erweiterung der Firma Klumpp auf der Fläche wurde in die Planung integriert.

    Die einzelnen Bürgerwünsche aus den themenbezogenen Arbeitsgruppen wurden im Plenum mit Voten (grünen und roten Punkten) versehen. Ablehnende Voten wurden begründet und nochmals in Arbeitsgruppen diskutiert. Die Bürgerempfehlung enthielt die Mehrheits- und Minderheitsvoten der Bürgerschaft aus der Abstimmung und Diskussion.

  3. Im Rahmen der Planungs- und Strategiewerkstatt wurde ein Redaktionsteam gebildet, das die Formulierungen der Voten überprüfen konnte. Diese Voten wurden im UTA vorgestellt und waren dann Teil des Pflichtenheftes der Wettbewerbsausschreibung. Das Redaktionsteam bestimmte einen Vertreter, der die Empfehlungen der Bürgerschaft aus der Planungs- und Strategiewerkstatt in der Jury kurz vorstellte und als beratendes Mitglied an den Sitzungen teilnahm. Nachdem das Preisgericht getagt hatte, wurden die Ergebnisse des städtebaulichen Wettbewerbes wiederum im Umwelt-Technik-Ausschuss und in der öffentlichen Sitzung des Bezirksbeirates präsentiert.

  4. Eine Ausstellung aller Entwürfe im Rathaus.

Ergebnis:

In der Beteiligung wurde ein abgestimmtes Votum der Bürger*innen zu Ideen und Anregungen für den städtebaulichen Wettbewerb zum Schoch-Areal erarbeitet. Diese Empfehlung wurde im Umwelt-Technik-Ausschuss als Organ des Gemeinderates der Stadt Stuttgart in die Abwägung und Entscheidung eingebracht. In einer weiteren Bürgerbeteiligung wurde die Gestaltung des Wiener Platzes (so heißt das Baugebiet Schoch-Areal) im Zusammenhang mit der Verkehrsanbindung und der Planung des Umfeldes (VVS und Bahn/S21) thematisiert. Hier wurden die Wettbewerbsentwürfe vorgestellt und konnten von den Bürgerinnen und Bürgern bewertet werden (siehe Abb. 6b). Der aktuelle Stand wird von der Stadt Stuttgart auf ihrer Homepage so dargestellt:

„Zur Umsetzung des Wettbewerbsergebnisses wird derzeit ein neuer Bebauungsplan aufgestellt.Im Baufeld Süd (BS) soll ein gemischt genutztes Gebiet mit ca. 140 Wohnungen mit unterschiedlichen Wohnformen realisiert werden. In den Erdgeschosszonen sollen nichtstörendes Gewerbe - insbesondere kleinteiliger Einzelhandel und Gastronomie zur Belebung des öffentlichen Raums - vorgesehen werden. Eine Kindertagesstätte ergänzt das Baufeld. Die Realisierung erfolgt durch verschiedene Bauherren. Ende 2017 wurden hierfür unterschiedliche Grundstücksvergabeverfahren gestartet. Die Entwicklung der Baulose BS1-3 wird durch Unternehmen (Wohnungsbaugesellschaften, -genossenschaften) des "Bündnis für Wohnen" gewährleistet. Das Baulos BS4 ist für Baugemeinschaften reserviert.“ 23

Beispiel Beteiligung zu Vorrangflächen für Windkraftanlagen in den Gemeinden Schorndorf und Winterbach: Regionalplanung (Beteiligung der Gemeinden Schorndorf und Winterbach bei der Aufstellung des Regionalplans der Region Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Winterbach und GRiPS, Ettlingen)

Abbildung 6a: Beispiel Schoch-Areal: Städtebaulicher Wettbewerb, Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans (in Zusammenarbeit mit der Stadt Stuttgart); Link zur Legende

Abbildung 6b: Beispiel Schoch-Areal: Ablauf der Bürgerbeteiligungen

5.5 Wie gelingt gute Bürgerbeteiligung im kommunalen Planungsablauf? Zwölf Empfehlungen aus der Planungspraxis für die Beteiligungspraxis

Autor*innen:

Dr. Tobias Benz (Bürgermeister der Gemeinde Grenzach-Wyhlen), Rolf Berker (FMöB), Ralf Bohlmann (Bezirksvorsteher Stuttgart-Mühlhausen), Dr. Britta Böhr (Mediatorin, Nationalpark Schwarzwald) , Rainer Carius (Umweltministerium Baden-Württemberg), Fabian Dembski (Projekt: Reallabor Stadt: Quartier 4.0), Ilse Erzigkeit (Stadtplanerin und Mediatorin), Ekkehard Fauth (Bürgermeister der Gemeinde Aidlingen), Prof. Dr. Roland Fritz (Rechtsanwalt und Mediator), Johanna Goder (Mediatorin), Carmen Haberstroh (Bürgermeisterin der Stadt Metzingen), Cathrin Henke (Kreistagsmitglied Mühldorf (Bayern) und Juristin), Dr. Martin Köppel (Konfliktberater, Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende), Rüdiger Kretschmer (Fachbereichsleiter Planung und Bau Emmendingen), Coral O’Brian, Claudia Peschen (Mediatorin), Wolfgang Schlagwein (Runder Tisch Vereine und Verbände EnAHRgie), Roland Schüler (Stadtrat Köln Lcihtenfeld), Dr. Gisela Wachinger (Mediatorin), Sarah-Kristina Wist (Mediatorin)

Am 19. November 2018 kamen rund 20 ExpertInnen aus Politik und Verwaltung sowie aus Planungs- und Beteiligungsbüros in Stuttgart zusammen, um Praxisbeispiele der Beteiligung in der Planung zu diskutieren. Sie erarbeiteten die folgenden zwölf Empfehlungen. Jeder Tipp beruht auf Erfahrungen aus mindestens einem Beteiligungsverfahren zu Planungsprozessen. Diese Beteiligungsprozesse waren nach den Kriterien und Erfolgsfaktoren der Mediation konzipiert, wie Ergebnisoffenheit, Transparenz und neutrale Prozessführung.

Tipp 1: Frühzeitig ein Beteiligungskonzept erstellen!

»Keine Angst vor ›Schlafenden Hunden!‹ Keine Angst vor den Bürgern!«

Es besteht die Gefahr, dass Beteiligungskonzepte immer erst dann gemacht werden »wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist«, wenn also erhebliche Konflikte bestehen. »Das ist technische Planung, da macht die Stadt keine Fehler, da braucht die Stadt keine Beteiligung«, so wurde ein Planungsamtsleiter zitiert. Diese Aussage ist zu hinterfragen:

Eine informelle vorgezogene Beteiligung ist möglich. Dadurch können alle Ideen geprüft und ggf. in die Planung aufgenommen werden. Es wird eine Verfahrensrobustheit entwickelt, die die formelle Beteiligung viel einfacher werden lässt.

Bereits zum Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses können alle GrundstückseigentümerInnen und alle AnwohnerInnen eingeladen und über die Absicht informiert werden, einen Bebauungsplan zu entwickeln. Die Themen der möglichen »Verhinderer« können hier schon mitdiskutiert werden.

  • Auftragsklärung – heißt erst anfangen, wenn Ziele definiert sind

  • Im Rahmen von Vorentwurfsüberlegungen für ein Bauprojekt mit Vorhabenträger, Verwaltung und Politik einen Beteiligungsprozess konzipieren und beschließen

  • Akteure und Themen vor dem Beteiligungsfahrplan gründlich und umfassend ermitteln

  • Wichtig: sich bewusst und frühzeitig im politischen Entscheidungsgremium für Bürgerbeteiligung entscheiden

  • Transparentes Verfahren unter aktiver Mitarbeit und Teilnahme von (Ober-) BürgermeisterInnen

Tipp 2: Eng mit der Planung interagieren

»Rechtliche Verfahren sind Teil der Beteiligung und umgekehrt.«

Die anwesenden ExpertInnen empfehlen, dass die Verwaltungsspitze bei Bürgerbeteiligungsveranstaltungen dabei ist. Wichtigster Erfolgsfaktor ist die Haltung der Akteure.

Die rechtlichen Schritte der Beteiligung sollen genutzt werden, um die Beteiligung möglichst gut auszugestalten. Eine verfahrensbegleitende Beteiligung kann sehr hilfreich sein, wenn die Erfolgsfaktoren (Ergebnisoffenheit, Ernsthaftigkeit, Fairness, Haltung der Akteure) beachtet werden.

Tipp 3: Gemeinderat/Gremien mit einbeziehen

»Nichts ist so öffentlich wie eine nicht-öffentliche Sitzung!«

Gemeinderäte sind BürgerInnen, die sich mit einem erheblichen Aufwand meist ehrenamtlich für die Belange der Kommune einsetzen. Sie sind wichtige Akteure in Planungsprozessen, nicht zuletzt, weil sie über die Ergebnisse der Beteiligungsprozesse (in Form einer Empfehlung an den Gemeinderat gerichtet) entscheiden. Sie müssen daher auch vor – oder zumindest gleichzeitig mit - der Öffentlichkeit über alle wichtigen politischen und planerischen Schritte informiert werden. Nicht-öffentliche Sitzungen des Gemeinderates bergen aber die große Gefahr, dass das Vertrauen der BürgerInnen in den Gemeinderat und die Verwaltung leidet.

Die Vorschläge der BürgermeisterInnen dazu sind:

  • Man verliert den Rückhalt im Gemeinderat, wenn man Dinge in die Öffentlichkeit bringt, bevor sie im Gemeinderat besprochen werden.

  • Die nicht-öffentliche Gemeinderatssitzung beinhaltet aber immer ein Risiko: Es empfiehlt sich, in der Sitzung gleich einen Termin zu nennen, an dem öffentlich über die Ergebnisse informiert wird.

  • Es ist dann aber auch durchaus möglich, heikle Themen wie die Standortsuche für Windkraft oder für eine Unterbringung für Geflüchtete in einer Bürgerbeteiligung, zeitnah nach dem ersten nicht öffentlichen Aufschlag im Gemeinderat, ergebnisoffen zu diskutieren.

  • In jeder Sitzungsvorlage den Punkt »Mögliche Beteiligungsformate« obligat aufführen.

  • Auch der Bürgermeister kann selbst einen Bürgerentscheid vorschlagen und diesen dann mit einer ausführlichen Bürgerbeteiligung gut vorbereiten. Dadurch sind die BürgerInnen ernsthaft und fair in den Entscheidungsprozess einbezogen.

  • Im Gemeinderat muss eine Kontinuität zum Thema Bürgerbeteiligung geschaffen werden, dazu eignen sich z.B. Klausurtagungen.

Praxisbeispiel: Wasserversorgung in Aidlingen

(Bürgermeister Ekkehard Fauth berichtet.)

Hintergrund

Aidlingen ist eine der ganz wenigen Gemeinden in Baden-Württemberg, die ihre Trinkwasserversorgung ausschließlich aus vier eigenen Quellen sicherstellen können, während viele Gemeinden beispielsweise an die Bodensee Wasserversorgung angeschlossen sind.

Der große Nachteil dieses Eigenwassers liegt jedoch im sehr hohen Kalkanteil, der durch die Muschelkalkformationen im Untergrund bedingt ist. Das natürliche (unbehandelte) Aidlinger Wasser wird mit einem Härtegrad von 24 Grad dH als sehr hart eingestuft. Es hat in der Vergangenheit so manche Hausfrau (Kalkreste in Waschbecken, Kochtöpfen etc.) zur Verzweiflung gebracht und auch Haushaltsinstallationen (z.B. Heizkessel) in die Knie gezwungen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass vielfach der Wunsch nach einer zentralen Wasserenthärtungsanlage an die Gemeindeverwaltung herangetragen wurde.

Vorgehen in der Beteiligung

Im Rahmen einer Bürgerversammlung wurde die Bürgerschaft über die verschiedenen Methoden einer zentralen Enthärtung des Trinkwassers und auch über die damit verbundene Erhöhung des Wasserpreises informiert.

Für eine Wasserenthärtung gab es in der Bürgerversammlung nicht nur Beifall. Kritische Stimmen waren der Meinung, man dürfe das Wasser nicht verändern, sondern müsse es so, wie es aus dem Boden komme, in die Haushalte leiten. Jeder einzelne sei dann nach der Wasseruhr für das, was er mit dem Wasser anstelle, selbst verantwortlich. Jeder Haushalt verfügt über mindestens zwei Trinkwasserzapfstellen (Küche und Bad). Aus diesem Grund war ich der Meinung, dass die Frage: »Zentrale Wasserenthärtung ja oder nein?» das klassische Beispiel für einen Bürgerentscheid ist, gerade weil es jeden Menschen persönlich angeht. Als Bürgermeister habe ich unserem Gemeinderat daher vorgeschlagen, anstelle des Gemeinderates die Bürgerschaft entscheiden zu lassen. Mein Vorschlag fand allerdings nicht die Zustimmung des Gemeinderates.

Ergebnis

Der Gemeinderat hat daraufhin beschlossen, beim Wasserwerk eine zentrale Wasserenthärtungsanlage zu bauen. Die Enthärtungsanlage ist bereits seit einigen Jahren erfolgreich in Betrieb. Die Wasserhärte konnte von 24 Grad dh auf 12 Grad dh gesenkt werden.

Tipp 4: Eine Beteiligung ist so gut wie ihre Teilnehmenden

»Ehrenamtliche MultiplikatorInnen brauchen Unterstützung!«

Damit ein Bürgerbeteiligungsverfahren eine Empfehlung an die Gremien erarbeiten kann, welches auch qualitativ etwas zur Planung beitragen kann und möglichst im Konsens abgefasst wurde, müssen alle »an den Tisch«, die später von der Planung im eigentlichen Sinn »betroffen« sein werden. Dazu gehören (je nach dem geplanten Projekt) auch Personen und Gruppen, die üblicherweise nicht von selbst auf die Idee kommen, zu Beteiligungsveranstaltungen zu gehen, wie Kinder und Jugendliche, ältere Menschen oder auch Geflüchtete. Für die unterschiedlichen Gruppen von Menschen müssen Wege der Einladung gefunden werden. Oft ist es besonders hilfreich, dafür MultiplikatorInnen anzusprechen (wie z.B. VertreterInnen von Religionsgemeinschaften, Schulen). Diese MultiplikatorInnen sind oft ehrenamtlich tätig und sollten daher ebenso durch die Verwaltung wertgeschätzt werden wie auch die Gemeinderäte.

Durch verschiedene Formen der Bürgerbeteiligung können unterschiedliche Gruppen angesprochen werden, die sonst nicht einfach zu erreichen sind. Digitale Werkzeuge bieten dazu gute Möglichkeiten. Etwa durch Webseiten oder über soziale Netzwerke, über die informiert und ein Stimmungsbild abgefragt werden kann, aber auch eine direkte Kommunikation zu EntscheidungsträgerInnen ermöglicht wird.

Als hilfreich hat sich die Visualisierung in immersiven Umgebungen (virtuelle oder erweiterte Realität) erwiesen. Dieses etwas aufwendigere und kostspieligere Werkzeug kann bei komplexen Fragestellungen eingesetzt werden z.B. in der Stadt- und Regionalentwicklung, der Verkehrsplanung, aber auch bei größeren Neubauprojekten. Präsentationen von interaktiven virtuellen Modellen können in mobilen Einrichtungen (3D-Monitore, 3D-Projektionstechniken, 3D-Kino usw.) auch für ein größeres Publikum umgesetzt werden. Diese Visualisierungstechniken erlauben es, unterschiedliche Datenebenen und Maßstäbe zu verbildlichen sowie die Perspektiven der Beteiligten einnehmen zu können.

  • Der Impuls der Unterstützer ist oft geringer als der der Gegner. Zufallsauswahl kann eine Möglichkeit sein, auch eher »Unbeteiligte« miteinzubeziehen.

  • Kinder und Jugendliche müssen miteinbezogen werden, denn sie sind die Nutzer der Planung!

  • Manche Interessen (besonders die des Gemeinwohls) sind nicht von Teilnehmenden abgebildet. Für diese muss eine Lobby gefunden werden! Besonders tritt diese Problematik im Klima- und Naturschutz auf.

  • Alle relevanten Akteure (Pro und Contra) sollen identifiziert und angesprochen werden, aber auch »DurchschnittsbürgerInnen« (Zufallsauswahl).

Praxisbeispiel: Bürgerbeteiligung mit digitalen Werkzeugen in Herrenberg

(Fabian Dembski - Projekt »Reallabor Stadt: Quartiere 4.0« – berichtet.)

Hintergrund

Das Ziel des Forschungsprojekts »Reallabor Stadt: Quartiere 4.0« ist es, digitale Werkzeuge zu entwickeln, die BürgerInnen, PlanerInnen und EntscheidungsträgerInnen dabei unterstützen können, Synergien und Kooperationen in komplexen und dynamischen Prozessen einzugehen. Digitale Technologien spielen hier eine Schlüsselrolle: Mit ihrer Hilfe können unterschiedliche Arten von Wissen gesammelt, ausgewertet und in diese Prozesse integriert werden. Durch die Verknüpfung von formalem und rationalem mit informellem und implizitem Wissen ist deren Anwendung in diesen Prozessen von besonderer Bedeutung. Wesentlich ist dabei der transdisziplinäre Zugang und die Beteiligung unterschiedlicher Interessensgruppen. Die Stadt Herrenberg ist Projektpartnerin und Ort einer groß angelegten Fallstudie.

Vorgehen in der Beteiligung

Neben anderen digitalen Methoden ist die der Visualisierung zur Beteiligung möglichst heterogener Gruppen eine wesentliche: Für die Stadt Herrenberg wurde ein komplexes 3D-Modell geschaffen, das in unterschiedlichen Maßstäben und auf mehreren Datenebenen in virtuellen und erweiterten Realitäten für partizipative Prozesse angewendet werden kann und auf Entscheidungsunterstützung abzielt. Ein großer Vorteil ist es, unterschiedliche Beteiligte mit differierenden professionellen und persönlichen Hintergründen zeitgleich informieren, Diskussionen anregen und Lösungsansätze gemeinschaftlich erarbeiten zu können. Diesen Potenzialen steht allerdings auch große Skepsis seitens konservativer PlanerInnen, aber auch Teilen der Verwaltung gegenüber. Dies ist wohl darin begründet, dass allzu große Transparenz bei unterschiedlichen städtebaulichen oder verkehrsplanerischen Verfahren als Gefahr angesehen wird, Planungsprozesse zu verzögern oder zu stören.

Es wurden stationäre wie auch mobile virtuelle Umgebungen eingesetzt, z.B. mobile Projektionswände mit 3D-Projektoren und Tracking bei Beteiligungen und anderen öffentlichen Veranstaltungen u.a. auch in Zusammenarbeit mit lokalen Vereinen.

Ergebnis

Neben FachplanerInnen und EntscheidungsträgerInnen wurden über 1.000 Personen aus unterschiedlichen Altersgruppen und Milieus erreicht, insbesondere auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Dies ist u.a. auch dem Erlebnisfaktor dieses neuen Mediums geschuldet: Es eignet sich als »Magnet« besonders gut dazu, größere und heterogene Gruppen zu involvieren und zur Teilnahme an Beteiligungsprozessen zu motivieren. Durch die Visualisierung in virtueller Realität konnte das Verständnis für komplexe Planungsprozesse wesentlich verbessert werden.

Tipp 5: Auch Nicht-Anwesende miteinbeziehen

»Die Reichweite in die Bevölkerung ist meist nicht so groß, wie man denkt«

Um die Umsetzbarkeit der Ergebnisse der Beteiligung zu ermöglichen, müssen auch die Menschen, die nicht bei den Veranstaltungen anwesend sind oder sein können, einbezogen werden. Zumindest sollten sie in geeigneter Form informiert werden. Dies ist besonders relevant, wenn einzelne VertreterInnen von Verbänden und Bürgerinitiativen an der Beteiligung teilnehmen und die Ergebnisse dann in ihre Gruppen rückkoppeln müssen.

  • Gruppen hinter den VertreterInnen verliert man leicht. (besonders bei dem Format mit VertreterInnen am Runden Tisch!)

  • BürgerInnen haben auch eine Holschuld.

  • Transparenz schaffen und öffentlich Rückmeldung geben über die Verwendung/Umsetzung der Empfehlungen der Bürgerinnen und Bürger!

Tipp 6: Nicht vorab Lösungen präsentieren

»Eine Bürgerbeteiligung ohne Entscheidungsspielraum ist keine«

Lösungen, die von der Verwaltung präsentiert werden, werden oft nicht von allen akzeptiert. Auch daher ist eine frühe (vorgezogene) Beteiligung in Planungsprozessen so wichtig, da dann noch Varianten diskutiert werden können und die Lösung noch nicht vorgegeben ist. Bereits bestehende Planungen, die nicht mehr geändert werden können, sollten aber im Sinne eines Rahmens oder von »Leitplanken«, innerhalb derer sich die Beteiligung (und ihre Ergebnisse) bewegen, klar kommuniziert werden.

  • Besonders, wenn mehrere Varianten möglich sind, sollten diese offen zur Diskussion gestellt werden.

  • Daten- und faktenbasierte Unterstützung in Beteiligungsprozessen ist ein Muss (»Evidence-based-design«).

Tipp 7: Realistische Erwartungen haben

»Bürgerbeteiligung ist kein Impfschutz vor Konflikten, aber sie schafft Unterstützung«

Auch nach einem »gut gemachten« Beteiligungsverfahren kann es noch zu Konflikten kommen. Die wohl häufigsten Gründe sind, dass BürgerInnen nicht bei den Veranstaltungen dabei waren und jetzt gegen die Ergebnisse protestieren oder klagen, oder dass sehr viel Zeit zwischen dem Verfahren und der Ausführung der Planung verstrichen ist. Die Erfahrung der ExpertInnen zeigt, dass ein Beteiligungsverfahren auch für die Akteure aus der Verwaltung und für die Investoren eine große Belastung und auch ein Risiko sein kann. Dennoch sind die Anwesenden der Meinung, dass man sich dessen zwar bewusst sein muss, dass sie aber trotzdem eine Beteiligung auch in diesen kritischen Fällen wieder durchführen würden.

  • Das Beispiel Schwimmbadgestaltung in Metzingen zeigt, wie durch eine gute Bürgerbeteiligung ein Bürgerentscheid zu einem sinnvollen demokratischen Instrument werden kann.

  • »Was kann ich einem Investor zumuten?« Für einen Investor ist es schlecht, wenn er in den Zusammenhang mit Konflikten gestellt wird.

  • Wenn es während des (Beteiligungs-)Prozesses schwierig wird: Bewusstsein über Konflikteskalation schaffen und Reflektion über weiteres Vorgehen anregen.

Tipp 8: Moderatorenrolle und Fachrolle trennen

»Profis beauftragen und Trennung der Rollen ist mein Praxistipp«

Die Praxis des Umgangs mit Konflikten zeigt, dass es sowohl für die Verwaltung als auch für die sich beteiligenden Betroffenen sehr hilfreich ist, wenn die Moderation von der fachlichen und/oder politischen Zuständigkeit getrennt ist. Die Verwaltung wird oft als Partei wahrgenommen und damit wird ihre Neutralität infrage gestellt. Externe ModeratorInnen beizuziehen ist daher das Mittel der Wahl, auch wenn dies mit Kosten verbunden ist. Zwar wird externe Moderation hin und wieder als ein „Abschieben“ von problematischen Aufgaben an Externe verstanden. Wenn dem so ist, so kann die Problematik der Trennung zwischen Fach- und Moderationsrolle auch durch eine klare Aufgabentrennung innerhalb der Organisation gelingen, indem z.B. Mitarbeitende aus einem anderen Bereich für Koordination, Organisation und Moderation von Beteiligungsprozessen zuständig und inhaltlich nicht involviert sind.

Praxisbeispiel: Der Granit-Dialog – Konflikte um ein Granitwerk

(Moderator Rolf Berker »FMöB e.V.« berichtet.)

Hintergrund

Konflikte zwischen betroffenen BürgerInnen und einem Granitwerk wegen der Belastungen durch Lärm und Sprengungen sind in den letzten Jahren immer mehr eskaliert. Bei der Genehmigung weiterer Abbauflächen mussten vor einigen Jahren weitgehende Kompromisse eingegangen werden. Die nächste Erweiterung wird zu weiteren Konflikten führen. Versuche des Bürgermeisters, durch einen Runden Tisch mit allen Beteiligten die Situation zu entschärfen, führten zu keiner Verbesserung der Situation. Es blieben Enttäuschung, Misstrauen und Unklarheiten auf allen Seiten.

Die Bürgerinitiative der betroffenen Bürgerschaft wandte sich an den »Förderverein für Mediation im öffentlichen Bereich (FMöB e.V.)«, um Unterstützung für eine Mediation zu erhalten.

Vorgehen in der Beteiligung

Nach ausführlichen Vorgesprächen mit dem Berater des FMöB wurde ein Bürgerforum mit den Vertretern von Gemeinde, Granitwerk, Behörden und allen interessierten BürgerInnen durchgeführt, um einen Konsens zum weiteren Vorgehen zur Verbesserung der Situation zu erarbeiten. Wegen dem Eskalationsgrad des Konfliktes und der Komplexität der Themen war für diese Veranstaltung eine straffe Moderation mit konsequenter Zielorientierung der wesentliche Erfolgsfaktor. Auf dieser Basis wurden gemeinsam getragene Maßnahmen und Vorgehensweisen erarbeitet.

Ergebnis

Alle Beteiligten waren mit der Veranstaltung sehr zufrieden. In ihrem Verlauf wurden Vorbehalte und Misstrauen zwischen den Konfliktparteien überwunden und es entwickelte sich ein konstruktiver Dialog mit sehr konkreten Ergebnissen: Es wurde ein laufender Gesprächskreis – der »Granit-Dialog« – mit VertreterInnen von Granitwerk und Bürgerinitiative eingerichtet, um Kommunikation und gegenseitiges Vertrauen zu verbessern und konkrete Maßnahmen zur Verringerung der Belastungen zu entwickeln.

Genehmigungsbehörde und Bürgerinitiative haben sich auf ein verbindliches und effektives Vorgehen geeinigt, um alle offenen und rechtlichen Fragen der BürgerInnen zu klären.

Die langfristigen und planungsrelevanten Fragen zum Granitabbau in der Region werden im geplanten Leitbildprozess der Gemeinde aufgegriffen und wo immer möglich in der Regionalplanung berücksichtigt. Die Bürgerinitiative hat für dieses Thema einen eigenen Arbeitskreis aufgestellt.

Tipp 9: Kosten nicht unterschätzen

»Die zusätzlichen Kosten durch Beteiligung müssen dem Mehrgewinn gegenübergestellt werden.«

Beteiligungsverfahren sind nicht kostengünstig. Neben den externen Kosten für Konzeption, Moderation und eventuell Veranstaltungsmanagement darf vor allem der verwaltungsinterne Personalaufwand nicht unterschätzt werden. Dennoch müssen die Kosten mit den Kosten für Gutachten und Bauvorhaben ins Verhältnis gesetzt werden. Beteiligungsverfahren können z.B. als »Bürgergutachten« in den Planungsprozess Eingang finden.

  • Im Idealfall wäre es möglich, zu einem fiktiven Beispiel eine Modellrechnung aufzustellen: Die Kosten für eine Bürgerbeteiligung gegenüber den Kosten, die bei einer Klage oder einer Planänderung entstehen.

  • Die externe Moderation ist mit zusätzlichen Kosten verbunden (wie eine interne neutrale Moderation organisiert werden kann siehe Tipp 8).

  • Das Gremium entscheidet auch über die anfallenden Kosten des Beteiligungsprozesses.

Tipp 10: Interessen durch Mediation herausarbeiten

»Ein Konsens ist möglich!«

Durch geeignete Verfahren, wie der Mediation, gelingt es in vielen Fällen, auch in Gruppen Interessen und Bedürfnisse herauszuarbeiten und auf dieser Basis einen Konsens zu erzielen. Wenn die Lösungsoptionen unvereinbar sind, können sie dennoch im Zusammenhang mit den jeweiligen Chancen und Risiken so detailliert dargestellt werden, dass sie als Empfehlung an die Gremien weitergegeben werden können. Damit haben die Räte eine Aufschlüsselung der Argumente für die Lösungsoptionen, auf deren Basis sie eine fachliche Entscheidung treffen können.

  • Oft wird mit »vorgeschobenen, gerichtsfesten Tatsachen« argumentiert. Eine Lösung wird möglich, wenn die dahinterliegenden Interessen der Teilnehmenden auf den Tisch kommen. Zunächst muss jedes Interesse als berechtigt angesehen werden.

  • Durch systemisches Konsentieren ist es möglich, Grautöne herauszuarbeiten und so einen Konsens zu erzielen.

Tipp 11: Beteiligungskultur in der Kommune aufbauen

»Möglichst frühzeitig Betroffene zu Beteiligten machen«

Die ExpertInnen berichten von einer Beteiligungskultur in ihren Kreisen, Städten und Gemeinden. Mit mehreren Beteiligungsverfahren entstehen in Mitsprache erfahrene Gruppen, aber auch eine Tradition in der Berichterstattung, wodurch die BürgerInnen sich gut informiert fühlen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die ehrenamtlich Engagierten auch nicht zeitlich überfordert werden dürfen: Nicht zu jeder Planung muss jeder beteiligt werden, aber zu vielen Planungen die jeweils betroffenen Personen.

  • Wie kann ein umfassendes Meinungsbild (Auswahl der Personen und Infokanäle) und die gesamtgesellschaftliche Sichtweise berücksichtigt werden? (Bsp.: Alle sagen man braucht mehr Wohnungen – keiner will sie in seinem Umfeld haben.)

  • Bestehende Angebote sollten besser genutzt werden. Ein Telefonat oder Termin mit der Verwaltung würde oft viele Punkte klären.)

Praxisbeispiel: Neue Schulen für den Kölner Westen

(Stadtrat Roland Schüler berichtet.)

Hintergrund

Der Stadtbezirk Köln Lindenthal ist ein Wachstumsbezirk. Im Jahre 2018 haben wir 150 000 Einwohnende. Die Frage nach neuen Standorten für weiterführende Schulen im Kölner Westen war eine herausfordernde.

Vorgehen in der Beteiligung

Die beiden BezirksbürgermeisterInnen des Stadtbezirks luden die VertreterInnen der wichtigen Bürgergruppen im Kölner Westen zu einem Austausch ein. Anhand von Erfahrungen und Zahlen aus den Vierteln war schnell Einverständnis erreicht, dass drei Standorte mit entsprechender Größe gesucht werden mussten. Wichtige Kriterien waren eine gute Verkehrsanbindung, am besten zu Fuß, mit dem Rad und mit dem ÖPNV zu Orte, deren Erreichbarkeit nicht in der morgendlichen Lastrichtung liegen.

Über einen Stadtplan gebeugt, konnten vier Standorte in den westlichen Kölner Orten Widdersdorf, Lövenich, Junkersdorf und Müngersdorf gefunden werden, die im Einverständnis mit den Bürgergruppen ausgewählt wurden. Diese wurden in den Bürgergruppen diskutiert und dann von der Bezirksvertretung Lindenthal einstimmig beschlossen.

Ergebnis

Zwischenzeitlich entstehen an drei ausgewählten Standorten weiterführende Schulen, Gesamtschulen und Gymnasien.

Tipp 12: Akteure in Verwaltung und Politik schulen

»Die Zielgruppe ›Verwaltung‹ darf nicht vergessen werden!«

Die ExpertInnen aus der Verwaltung merkten ein Defizit in der Aus- und Weiterbildung ihrer KollegInnen an. In Baden-Württemberg wird zur Wissensvermittlung über Beteiligung seit einigen Jahren eine Struktur aufgebaut, in anderen Bundesländern gibt es bislang meist noch wenige Angebote. Das Wissen über Beteiligung in den Verwaltungen würde einige Hemmnisse der Umsetzung abbauen.

  • Schulung in der Verwaltungslaufbahn aufbauen.

  • Fortbildungen für BürgermeisterInnen!

  • Die Teilnahme an Beteiligungsverfahren sollte als Bildungsurlaub anerkannt werden.

Fazit

Die TeilnehmerInnen des Praxisworkshops »Beteiligung« am 19. November 2018 sprechen aus eigener Erfahrung: Sie alle haben als VertreterInnen von Politik und Verwaltung in ihren Kommunen oder als externe MediatorInnen Beteiligungen durchgeführt. Sie wissen, welche Mühe im Detail steckt, aber auch, warum sie es immer wieder so machen würden.

Literaturverzeichnis

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Carius, R.; Hilpert, J.; Ulmer, F.; Wist, S.-K. 2014: Elemente, Ablauf und erste Erfahrungen der „Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung zum integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept Baden-Württemberg (BEKO). In: Dialogik (Hrsg.) Innovativ und partizipativ- Einblicke in die Arbeit von Dialogik. Stuttgart: Stuttgarter Beiträge zur Risiko- und Nachhaltigkeitsforschung.

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Hilpert, J. (Hrsg.): Benighaus, L., Brachatzek, N., Kuhn, R., Renn, O., Pfenning, U., Schetula, V., Schröter, R., Tampe-Mai, K., Wachinger, G. und Wassermann, S.: Nutzen und Risiken öffentlicher Großprojekte: Bürgerbeteiligung als Voraussetzung für eine größere gesellschaftli-che Akzeptanz. Stuttgarter Beiträge zur Risiko- und Nachhaltigkeits-forschung, Nr. 19. Stuttgart: Universität Stuttgart, Juni 2011

Landesplanungsgesetz des Landes Rheinland-Pfalz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 2003 (GVBl. S. 41), das zuletzt durch § 54 des Gesetzes vom 6. Oktober 2015 (GVBl. S. 283) geändert wor-den ist (RhPfLPlG).

National Research Council 2008: Public Participation in Environmen-tal Assessment and Decision Making. In: The National Academies Press: Washington D. C.

Renn, O. 2008: Risk Governance. Coping with Uncertainty in a Com-plex World. London: Earthscan.

Richter, I: Planungswerkstatt zum Teilflächennutzungsplan Wind-energie in Schorndorf und Winterbach Ina Richter* : https://www.energiebeteiligt.de/wp-content/uploads/2016/01/Planungswerkstatt-zum-Teilflaechennutzungsplan-Windenergie-in-Schorndorf-und-Winterbach.pdf , zugegriffen am 04.07.2019

Schulz, M., Mack, B., Renn, O. (Hrsg.), Fokusgruppen in der empiri-schen Sozialwissenschaft, Springer-Verlag Wiesbaden 2012, S. 9 f.

Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 11 Ab-satz 2 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert wor-den ist (VwVfG).

VDI-Richtline 7000 2015: Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei Indust-rie- und Infrastrukturprojekten, Beuth Verlag. Berlin.

VDI-Richtlinie 7001 2014: Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteili-gung bei Planung und Bau von Infrastrukturprojekten, Beuth Verlag. Berlin.

Wachinger, G., Strothe, L., Wist, S., Schaffrin, A: Leitfaden Partizipa-tion. Zugegriffen am 28.08.2019. https://www.enahrgie.de/energiekonzept/Leitfaden_Partizipation.pdf

Wegweiser Bürgergesellschaft. „Runder Tisch“. Zugegriffen am 21.11.2017. https://www.buergergesellschaft.de/?id=109169.

Ziekow, J. 2012: Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie. In: NJW Beil. 2012, 91-94.

Ziekow, J.; Barth, R.; Schütte, S.; Ewen, C. 2014: Konfliktdialog bei der Zulassung von Vorhaben der Energiewende. Leitfaden für Behörden: Speyer.

Kontakt zu dieser Broschüre

Dr. Gisela Wachinger
DIALOGIK - gemeinnützige Gesellschaft für Kommunikations- und Kooperationsforschung mbH
Lerchenstraße 22
D-70176 Stuttgart
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www.dialogik-expert.de

Fußnoten


  1. Renn 2011 

  2. vgl. National Research Council 2008 XXX 

  3. vgl. Benighaus et al. 2016 

  4. vgl. ISO 7000 

  5. vgl. Schulz et al. 2012, 9 f. 

  6. vgl. wegweiser-buergergesellschaft 

  7. vgl. Benighaus et al. 2016 

  8. vgl. Leitfaden Partizipation des Projektes ENAHRgie 

  9. vgl. Ziekow et al 2014, 12 

  10. vgl. BVerwG, Urt. v. 03. März 2011, 9 A 8/10, bverwg.de, Rn 2 

  11. vgl. Ziekow 2012, D 109 

  12. vgl. VDI 7000 2015; vgl. VDI 7001 2014 

  13. vgl. Leitfaden Partizipation des Projektes EnAHRgie 

  14. Battis in B/K/L, § 1 Rn. 78, 84 f. 

  15. Die Regionalplanung ist in den Landesplanungsgesetzen der Länder i.V.m. dem Raumordnungsgesetz des Bundes geregelt. Stellvertretend wird hier auf die Regelungen des rheinland- pfälzischen Landesplanungsgesetzes eingegangen. Verweise auf die gesetzlichen Regelungen der anderen Bundesländer sind im Ablaufplan an den entsprechenden Stellen zu finden. 

  16. vgl. Leitfaden Partizipation des Projektes ENAHRgie 

  17. vgl. bspw. § 1 Abs. 3 BauGB „Die Gemeinden haben die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Auf die Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen besteht kein Anspruch; ein Anspruch kann auch nicht durch Vertrag begründet werden.“ sowie die weiteren Ausführungen zu den Voraussetzungen der Bauleitplanung in § 1 Abs. 5 und 6 BauGB. 

  18. Auch an dieser Stelle sind Vorabbindungen des Abwägungsprozesses nur im Rahmen des sog. Flachglas-Urteils des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 5.7.1974 – IV C 50.72) zulässig. 

  19. vgl. Leitfaden Partizipation des Projektes ENAHRgie 

  20. Aus: Ina Richter: Planungswerkstatt zum Teilflächennutzungsplan Windenergie in Schorndorf und Winterbach 

  21. Aus den Veröffentlichungen der Gemeinde auf der Homepage www.emmendingen.de, letzter Zugriff am 17.07.2019 

  22. Aus den Veröffentlichungen der Stadt Stuttgart auf der Homepage www.stuttgart.de, letzter Zugriff am 17.07.2019